Im Wirbel der Gefuehle
Tochter, würde jederzeit zur Verfügung stehen. Ja, es ist wahr, dass er, der berühmte Fechtmeister und neue Eigentümer des Anwesens, den Aufseher persönlich entlassen hatte. Man konnte davon ausgehen, dass Kingsley nicht gerade gut auf Lenoir zu sprechen war, aber was für einen Grund sollte Lenoir denn haben, jenem noch etwas anzutun?
Ach so, der Aufseher starb durch eine Wunde, die höchstwahrscheinlich von einem Degen herrührte, aber was sollte das schon beweisen? Schließlich besaß die halbe Gemeinde eine solche Waffe. Mehr noch, die Kaintucks, die diese Route hier am Fluss mit ihren Kielbooten befuhren, waren alle im Besitz eines sehr langen Messers, mit dem man problemlos eine ähnliche Wunde zufügen konnte. Angesichts dieser Tatsache wäre es mehr als lächerlich, Monsieur Christien Lenoir zu verdächtigen und sein Wort als Ehrenmann anzuzweifeln, dass er in diese Angelegenheit nicht verwickelt war, das geböte schon allein die Höflichkeit. Ja, oder auch die diesbezüglich glaubwürdige Aussage seines Sohnes Paul in Zweifel zu ziehen, war nicht gerade angemessen. Was die Tatsache anbelangte, dass die Leiche dieses Unglücklichen so nahe bei River’s Edge gefunden wurde, so war das doch alles andere als überraschend, denn schließlich hatte er hier lange Zeit sein Zuhause gehabt. Monsieur Kingsley sollte sich zwar nach seiner Entlassung nicht mehr auf dem Anwesen blicken lassen, doch ganz aus der Nachbarschaft und Umgebung konnte man ihn ja schließlich nicht verbannen, dazu fehlte einfach die Möglichkeit, dies effektiv durchzusetzen.
Es gab noch mehr Fragen in diese Richtung, doch sie führten im Prinzip alle auf das Gleiche hinaus. Der Sheriff befragte noch Christien und Paul persönlich, sprach mit Alonzo und den anderen Bediensteten und schnüffelte noch ein bisschen um die Baracken der Arbeiter hinter dem Herrenhaus herum. Die Damen des Hauses belästigte er selbstverständlich nicht, da sie sowieso nichts zur Aufklärung beitragen konnten. Nach ein paar Stunden ergebnislosen Fragens und Inspizierens machte er sich auf, River’s Edge wieder zu verlassen, ohne jedoch mit seiner Untersuchung wirklich zufrieden zu sein.
Reine, in ihrer Funktion als Gastgeberin, begleitete ihn bis zum Gartentor und verabschiedete sich von ihm äußerst höflich. Sie lächelte und versuchte, so entspannt wie möglich zu wirken, als sie den Staatsdiener und seine Frau noch offiziell zur Hochzeit einlud. Er schien über dieses gastfreundliche Angebot sehr erfreut zu sein, doch er war sich nicht ganz sicher, ob seine bessere Hälfte sich einem so ausgelassenen Treiben gewachsen fühlen würde. Den Leichnam des Aufsehers ließe er bei ihnen, damit er hier, wo er hingehörte, diskret bestattet werden könnte. Schließlich fuhr er in seiner Kutsche davon, eingehüllt in eine große Staubwolke.
Während Reine ihm nachsah, wie er sich langsam entfernte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Wer war bloß der Mann, der Kingsley getötet hatte? Die Vermutungen ihres Vaters schienen plausibel zu sein, und am liebsten würde sie auch glauben wollen, dass er recht hatte und der jähzornige Aufseher irgendwo in eine Messerstecherei geraten war. Das war allemal besser, als sich darüber Gedanken zu machen, wohin wohl Christiens mitternächtliche Ausflüge als rächender Nachtfalke im Auftrag der Bruderschaft führten.
Unabhängig davon, wie Kingsley nun gestorben war, sie würden ihn auf jeden Fall im hiesigen Familiegrab bei seiner Mutter und seinem Vater begraben. Jedem musste zumindest diese Art von Respekt erwiesen werden.
Ein Begräbnis so kurz vor der Hochzeit war jedoch kein gutes Omen für das zukünftige Eheglück.
Neunzehntes Kapitel
Der große Tag brach an und zeigte sich in strahlendem Sonnenschein. Schon am späteren Vormittag war es jedoch drückend heiß, und nicht die leiseste Brise kühlte die Luft ein wenig ab. Die Blätter waren welk und hingen trostlos von den Bäumen. Zikaden zirpten aus ihren Verstecken in den Büschen und Bäumen, aber nur wenigen Vögel schien es nach Singen zumute zu sein. Der Geruch von Holzkohle und gekochtem Schweinefleisch wehte von den offenen Feuerstellen hinter der Außenküche herüber und vermischte sich mit dem Duft von frisch gebackenem Kuchen, karamellisiertem Zucker, gebratenem Hühnchen mit Zwiebeln und frisch geröstetem Kaffee. Von den Hütten der Bediensteten hörte man ein nicht abreißendes Gemurmel unterdrückter Stimmen, denn die Feldarbeiter hatten an
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