Im Wirbel der Gefuehle
nicht weiter ungewöhnlich, doch Madame Pingre hätte vielleicht besser nie Kinder haben sollen, denn Erziehung war nicht gerade ihre Stärke. Vor seinem Tod hinterließ Monsieur Pingre seinem Sohn ein Vermögen, um ihn für die Vernachlässigungen zu entschädigen.«
Christien nickte verständnisvoll, während Cassard innehielt. Der letzte Umstand könnte wohl eine Erklärung dafür sein, dass der junge Pingre ein Mann wurde, der nicht viel für die Frauen übrighatte, die er konsumierte. »Wohnt Madame Pingre, seine Mutter, immer noch hier in der Nähe?«
»Aber nein. Sie schiffte sich nach Paris ein, kurz nachdem ihr Sohn gestorben war. Das Haus steht jetzt bereits seit über zwei Jahren leer.«
»Ich nehme an, sie hat nie daran gedacht, es zu ver-kaufen?« Vielleicht hätte ja einer seiner Freunde von der Passage de la Bourse Interesse daran. Es ist immer gut, wenn man sich seine Nachbarn aussuchen kann.
»Falls dem so gewesen wäre, habe ich es zumindest nicht mitbekommen«, sagte Cassard.
Er würde das trotzdem im Hinterkopf behalten, man konnte ja nie wissen. »Ich wollte Sie übrigens nicht unterbrechen«, entschuldigte sich Christien. »Sie erzählten gerade von ... ? «
»Wo war ich noch gleich stehen geblieben? Ach ja, Theodore. Er konnte nie richtig stillhalten und ging deshalb an jenem Tag noch in die Stadt, um sich die Zeit zu vertreiben. Seinen Onkel, der bereits schwer krank war, überforderte körperlich und nervlich die ganze Aufregung um Marguerite und verschied noch am selben Tag. Reine war zwar untröstlich, wollte aber mit ihrer Kleinen nicht in dieser Atmosphäre des Todes bleiben und ging mit ihr nach River’s Edge, um in den Schutz elterlicher Geborgenheit zurückzukehren.«
»Ich nehme an, dass ihr Schwiegersohn dann ebenfalls nach River’s Edge kam.«
»Wahrscheinlich.«
Christien zog die Augenbrauen hoch. »Heißt was, bitte?«
»Niemand hat ihn in dieser Nacht kommen sehen, genauso wenig, wie irgendjemand ihn wieder Weggehen sah bzw. beobachtete, wie er weggetragen wurde.«
»Wie konnte er theoretisch ins Haus gelangen? War der Butler noch wach?«
»Alonzo wurde, nachdem er vierundzwanzig Stunden im Dienst war und ununterbrochen Krüge mit heißem Wasser, Essen, Trinken und Medizin die Treppen hoch- und runtergeschleppt hatte, schließlich zu Bett geschickt. Die Türen waren nicht abgeschlossen, da das alte Kindermädchen von Reine und Marguerite, Demeter, weiterhin raus- und reinmusste, um zur Küche zu gelangen. Alles ging drunter und drüber, wie Sie sich vorstellen können, da man ja um Marguerites Leben bangte.«
Christien nickte bei dieser Vorstellung voller Mitgefühl. Die Haustür abzuschließen, war unter diesen Umständen nicht sinnvoll, da man sonst nicht mehr ohne Weiteres zur Außenküche gekommen wäre. »Hat niemand etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen?«, fragte er nach einem kurzen Moment.
Cassard schüttelte seinen weißhaarigen Kopf. »Als der Sheriff kam, hatte er die gleiche Frage an die Hausangestellten und an alle anderen Bewohners von River’s Edge gerichtet. Ja, und zwar mit dem gleichen ernüchternden Ergebnis. Monsieur ...«
Christien zog in Verwunderung eine Augenbraue hoch, während er ruhig abwartete, bis sein Gastgeber seine Gedanken sortiert hatte. Als dieser jedoch in seinem Bericht nicht weiter fortfuhr, ermutigte er ihn: »Was wollten Sie mir sagen?«
»Ich zögere noch, Ihnen alle Einzelheiten zu schildern, doch die Ehre gebietet es mir, offen Ihnen gegenüber zu sein. Die Umstände sind noch komplizierter, als Sie sich das vorstellen können. Falls Sie also daran denken, Ihren Heiratsantrag zurückzuziehen, werde ich Ihnen das nicht verübeln.«
»Nein.« Das wäre das Letzte gewesen, was Christien im Sinn hatte.
»Sie lassen sich also nicht von den zweifelhaften Umständen von Pingres Tod abschrecken?«
»Das war sicherlich eine schwierige Zeit für alle, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es die Schuld ihrer Tochter war. Ich mache mir nur darüber Gedanken, wie sie wohl in eine so blutige Angelegenheit verwickelt werden konnte.« Da er nicht vorhatte, Cassard bezüglich dieses Themas entkommen zu lassen, fuhr er ohne Pause fort: »Was glauben Sie denn, was damals eigentlich passierte?«
Sein zukünftiger Schwiegervater schaute ihn einen Moment lang an, während seine Gesichtszüge sich vor Erleichterung entspannten. Er ließ seinen Blick in die Ferne schweifen und sagte dabei: »Das kann ich Ihnen nicht beantworten,
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