Im Wirbel der Gefuehle
dass ihm diese Beschreibung seiner Tochter kein Vergnügen bereitete. »Sie war? Heißt das, die Großmutter ist bereits verschieden?«, fragte Christien.
»Sie starb im Kindbett.«
Eigentlich hätte er sein Beileid aussprechen müssen, doch Christien fuhr nach einer kleinen Pause fort.
»Und Madame Pingres Großvater, der Amerikaner? Lebt er hier in der Nähe?«
»Ja, früher einmal, nur ein paar Meilen flussabwärts, aber auch er ist verstorben.«
»Das tut mir leid«, antwortete Christien höflich.
»Solche Dinge passieren nun einmal«, sagte Cassard schulterzuckend. »Sie wundern sich sicherlich, dass in Anbetracht der umfangreichen Besitzungen des Schwiegervaters meine Frau und ich so von ihrem guten Willen abhängen. Aber Sie müssen verstehen, dass Nora aus einer großen Familie mit zehn Geschwistern kommt. Im Laufe der Zeit wurde alles unter ihnen aufgeteilt, sodass der jeweilige Anteil dann doch eher knapp bemessen war.«
Christien vermutete stark, dass ein nicht zu kleiner Teil des Erbes am Spieltisch verloren ging. Das war zwar nicht seine Angelegenheit, doch er dachte schon bei sich, dass Cassard der ererbte Geldsegen beim Kartenspiel nicht gerade vorsichtiger hatte sein lassen. Das Gleiche galt natürlich auch für River’s Edge. Er warf Reines Vater sicherlich nicht seinen Lebensstil vor, denn sich dem Müßiggang und dem Kartenspiel hinzugeben, gehörte nun einmal zur Lebensart der französischen Aristokraten, und Cassard wäre sicherlich aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden, hätte er sich anders verhalten. Hinzu kam, dass er selbst ja kaum in der Position war, Cassard zu kritisieren, wenn man bedenkt, wie er an River’s Edge gekommen war.
»Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich noch einen Verstorbenen der Familie erwähne«, sagte Christien im Weitergehen, »aber es interessiert mich schon, wie der letzte Ehemann ihrer Tochter ums Leben kam. Er wurde ermordet, soviel ich weiß.«
»So sagt man. Ich würde eher von einem tragischen Unfall sprechen.«
»Ihrer Tochter wird unterstellt, dass sie dabei etwas nachgeholfen habe.«
Cassard machte eine wegwerfende Geste. »Unsinn, das ist kompletter Unsinn.«
»Warum sollte jemand dann so etwas glauben?«
Reines Vater warf ihm einen kurzen, aber strengen Blick zu.
»Sie wissen ja, wie die Leute sind, sie suchen immer nach einem Skandal, egal wie unwahrscheinlich es ist.«
»Richtig, doch soviel ich weiß, war das Ganze eine Art Drei-Tages-Wunder.« Hartnäckigkeit zahlt sich eben manchmal aus, dachte sich Christien.
»Oh, das war eine furchtbare Angelegenheit. Theodore — ihr Ehemann, also Theodore Pingre — war eines Nachts einfach von zu Hause verschwunden. Alles, was darauf hindeutete, was mit ihm geschehen war, war eine große Blutlache auf seinem Leintuch und ein Schürhaken mit etwas Haut und Haaren auf dem Teppich neben dem Bett. Mehrere Tage lang wusste man nicht, woran man war. Dann wurde schließlich eine Leiche aus dem Fluss gezogen, die aber nur anhand des Eherings identifiziert werden konnte. Schildkröten und Katzenfische hatte ihn unkenntlich werden lassen, verstehen Sie.«
Christien blieb angesichts dieser Vorstellung ungerührt. Er hatte in seinem Leben bereits genug Leichen gesehen, die auf dem Fluss trieben, was angesichts der langen Uferlinie in New Orleans nichts Ungewöhnliches war. Die Opfer waren durch das lange Liegen im Wasser meist so aufgedunsen und unkenntlich geworden, dass selbst ihre eigenen Mütter sie nicht mehr mit Sicherheit identifizieren konnten. »Als Sie eben von >zu Hause< gesprochen haben, meinten Sie sicher das Heim von Reine und Theodore, oder?«
»Nein, das ist alles hier in River’s Edge passiert.«
»Tatsächlich«, antwortete Christien, ohne dabei seine Neugier zu verbergen.
Cassard runzelte ein wenig die Stirn, doch fuhr dann, ohne weiter zu zögern, fort. »Die kleine Marguerite hatte damals heftige Magenschmerzen, und da es nicht selten vorkommt, dass Kinder an so etwa sterben, war man in großer Sorge um sie. Reine und Theodore lebten zu dieser Zeit auf Bonne Esperance, dem Landgut seiner Eltern, das direkt an das unsrige grenzt. Der dortige Haushalt bestand aus dem üblichen Personal sowie Madame und Monsieur Pingre, einer verwitweten Tante und einem bettlägerigen Onkel mit dessen Töchtern, die sich um ihn kümmerten. Das Einzige, was es nicht gab, waren Geschwister von Theodore, denn er blieb das einzige Kind der Pingres, welches die Volljährigkeit überlebte. Das ist an sich
Weitere Kostenlose Bücher