Im Wirbel der Gefuehle
Fleisch folgten. Dazu wurde eine Gemüseplatte gereicht und anschließend eine gemischte Obstspeise serviert. Am Ende gab es schließlich noch eine Auswahl an Käse, garniert mit Nüssen.
Von der Decke hing eine große fächerartige Konstruktion aus Mahagoni, die über eine samtene Kordel von einem Küchenjungen betätigt wurde, um einerseits die herumschwirrenden Fliegen abzuhalten und andererseits das Essen etwas zu kühlen. Nichtsdestotrotz sah man, wie der Käse schwitzte und sich kleine Feuchtigkeitstropfen an seiner Oberfläche bildeten. Aber auch die Bediensteten hatten Schweißperlen auf der Stirn, während sie fast geräuschlos die Teller auf-und abtrugen, die Gläser mit kühlem Quellwasser oder Wein auffüllten und weitere Kleinigkeiten servierten.
Christien war tief beeindruckt, denn seine eigenen Mahlzeiten waren im Vergleich dazu eher spartanisch. Er aß zwar meist im Restaurant, doch wenn er mal zu Hause speiste, dann nur einfache Gerichte. Große Familienessen fanden in seinem Leben schon lange nicht mehr statt, auch wenn er gelegentlich noch von Freunden eingeladen wurde, wie seinen ehemaligen
Fechtlehrern Gavin Blackford und Nicholas Pasquale, von Caid O’Neill, dem Conde de Lerida oder von Kerr Wallace, wenn dieser mit seiner Frau Sonia im Winter zufällig aus Kentucky anreiste und in der Stadt weilte. Christien war sich sicher, dass das übrig gebliebene Essen den höhergestellten Bediensteten zugutekam und diese später in der Küche auch noch von dem üppigen Mahl zehren konnten. Die reichlich bestückte Tafel war für Christien aber auch ein Hinweis darauf, wie gut River’s Edge florierte und welch ein Überfluss dem Boden hier abgerungen werden konnte.
Am großen Esstisch saßen sechs Personen. Cassard hatte versucht, Christien am Kopfende zu platzieren, doch er weigerte sich höflich und überließ seinem Gastgeber den Familienvorsitz, während er sich selbst an dessen rechte Seite setzte. Ihm gegenüber saß Reine und neben ihr auf einem Kissen Marguerite. Auf dem verbleibenden Stuhl hatte Reines Bruder, Paul Cassard, Platz genommen.
Der junge Monsieur Cassard war kein Kind mehr, sondern fast volljährig. Er hatte lange braune Haare, grüne Augen und schien sich in der Natur wohler zu fühlen als in einem Salon. Sein Rock und seine Hosen waren eher die eines unprätentiösen Herrn vom Lande als die eines Dandys aus der Stadt. Wie Christien aus ein paar Bemerkungen herausgehört hatte, war der junge Cassard für den Fisch verantwortlich gewesen, der beim Essen aufgetischt wurde. Mit seinem frischen Fang war er gerade noch rechtzeitig vom Fluss gekommen, wo er mit seinem Kanu die Angel ausgeworfen hatte.
Den Jungen hatte Christien schon zuvor einmal von Weitem gesehen, ohne jedoch zu wissen, wer er war. Kurz vor dem Essen, als er sich in seinem Zimmer frisch machte, hatte er beobachtet, wie er nach Hause trottete. In seiner Hand hielt er eine Weidenrute mit einer Astgabelung, an dem prächtige Barsche und Brassen zappelten. Mit seinen zerzausten Haaren im sonnengebräunten Gesicht und den mit Flusswasser getränkten Kleidern, die um seine gelenkigen Glieder schlackerten, erschien er sorgenlos und fröhlich.
Bei Tisch allerdings war davon nichts mehr zu erkennen. Zweifellos wurde er über die neuesten Ereignisse auf River’s Edge in Kenntnis gesetzt. Er war sicherlich nicht erfreut darüber, dass das Anwesen, welches er womöglich schon als sein Erbe betrachtet hatte, nun für ihn verloren war. Sicherlich bedauerlich, doch damit musste sich Christien später auseinandersetzen.
»Ist Ihre Unterkunft komfortabel genug, Monsieur Lenoir?«
Die Frage kam von der zerbrechlichen Dame am anderen Ende des Tisches. Madame Cassard wirkte deutlich älter, als man aufgrund ihrer noch relativ jungen Kinder annehmen würde. Ihre Hände zitterten, wenn sie das Besteck führte, ihre Haut schimmerte in einer gräulichen Farbe, und ihre immer dünner werdenden Locken waren mit verschiedenen Haarteilen ergänzt worden. Obwohl ihr Mann zu verstehen gab, dass man sie nicht über die aktuellen Ereignisse unterrichtet hatte, fragte sich Christien doch, ob sie nicht aus anderen Quellen irgendetwas mitbekommen hätte.
»Sie könnte nicht besser sein.« Das war nicht nur einfach eine höfliche Antwort, denn Christien war wirklich angenehm überrascht, wie groß das ihm zugewiesene Schlafzimmer und der angrenzende Umkleideraum waren.
»Wenn Sie irgendetwas benötigen, dann müssen Sie es mir nur sagen. Aber
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