Im Wirbel der Gefuehle
Zunge hatte dieser freundliche Begleiter nicht im Geringsten den Anschein eines gefährlichen Wachhundes.
»Hilfe, grand-pere, hilf mir bitte!«, rief das Kind. »Ich bin von Babette weggelaufen, um mir den Monsieur mit dem Degen anzusehen, von dem sie und Cook gesprochen haben. Ich bin so schnell gelaufen, dass Babette mich nicht einholen konnte. Sie hat mir aber hinterhergerufen, dass ich böse sei und mich der lo upgarou fangen wird.«
Monsieur Cassard bückte sich und nahm die Kleine in seine Arme, als sie gegen seine Beine lief. Er hob sie hoch und gab ihr einen festen Kuss auf die hochrote Wange und lächelte sie an. »Was würde ein alter Werwolf schon von so einer wie dir wollen? So ein kleines Kätzchen wie du wäre kaum ein ordentlicher Happen für ihn. Nun sag’ mal schön Guten Tag zu Monsieur Lenoir, ma chere, denn er ist unser Besucher, und wir müssen ihn willkommen heißen.«
Das Kind blickte Christien aus seinen weit aufgerissenen, strahlend blauen Augen an, die von feinen dunklen Wimpern umrahmt waren. Sie schluckte und blieb wie angewurzelt stehen.
»Möchtest du nichts sagen, Marguerite? Es ist unhöflich, einen Gast zu ignorieren.«
»Das ist der Mann«, flüsterte sie mit ernster Miene ihrem Großvater ins Ohr.
»C’est vrai? Aber welcher Mann, ma petite ? «
»Der Mann, der mich von der Straße gerissen hat, mich und Maman, sodass uns die Pferde nicht niedertrampeln konnten. Ist er der Mann mit dem Degen? Wird er den loup-garou töten?«
Cassard warf Christien einen amüsierten Blick zu. »Das musst du ihn schon selber fragen!«
Dem Hoffnungsschimmer in den tiefblauen Augen der Kleinen konnte Christien unmöglich widerstehen. »Aber natürlich werde ich die Bestie für dich erschlagen«, beruhigte er sie und verbeugte sich galant. »Du musst ihn mir nur zeigen, dann wird er keine Minute überleben.«
Marguerite blieb unentschlossen und konnte sich noch nicht für ein Lächeln entscheiden. »Wirklich?«
»Bei meiner Ehre.« Diese Beteuerung sollte eigentlich ausreichen, um die Werwolffantasien aus der kindlichen Vorstellungswelt zu verbannen. Es wäre natürlich am besten, wenn das Kindermädchen aufhören würde, die kleine Marguerite mit Monsterheimsuchungen zu bedrohen, nur damit sie gehorchte. Vielleicht würden dann auch ihre Albträume aufhören. Das wäre jedoch nur möglich, wenn er die Erlaubnis ihrer Mutter hätte, sich als zukünftiger Stiefvater in die Erziehungsangelegenheiten einzumischen.
»Ich mag Sie«, sagte die Kleine plötzlich kurz entschlossen.
»Sie sind zu freundlich, mademoiselle «, antwortete Christien, wobei er sich bemühte, so ernsthaft wie möglich zu klingen, »zuvorkommend, wie es eine junge Dame sein sollte.«
»Maman und grand-mere sind nicht immer nett und freundlich.«
»Marguerite!«, protestierte Monsieur Cassard.
»Ich bin sicher, sie werden ihre Gründe dafür haben«, beschwichtigte Christien, wobei er sich sehr zusammenreißen musste, nicht allzu ironisch zu klingen.
»Ich bin eine Plage und Last für Maman, genauso wie grand-pere. Werden Sie auch eine Plage sein?«
»Aber mein Engel, bitte!«
Christien schüttelte den Kopf, um der Kleinen, aber auch Cassard anzudeuten, dass sie sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen brauchten. »Ich will versuchen, keine zu sein.«
»Dann wird Maman Sie mögen.«
»Wir wollen hoffen, dass dies der Fall sein wird.« Selten hatte er etwas ehrlicher gemeint.
Sie gingen zusammen zurück zum Haupthaus, wobei die kleine Marguerite zwischen ihrem Großvater und Christien lief, den großen, beschützenden Hund im Schlepptau. Sie war kein geschwätziges Kind, wie ihm bei dem Spaziergang durch die herrliche Natur auffiel. Marguerite schien dünner zu sein, als er sie in Erinnerung hatte, und sie sah auch etwas mitgenommen aus. Während sie dahinlief, runzelte sie immer wieder die Stirn und hing wohl trüben Gedanken nach.
Ab und zu blickte sie zu ihm hoch und sah ihn mit einer seltsamen Art von Verwunderung an. Die hoffnungsvolle Erwartung, die aus ihren Augen sprach, traf Christien direkt ins Herz und berührte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
Schuld war noch nie ein guter Begleiter.
Viertes Kapitel
Die Hauptmahlzeit des Tages wurde auf River’s Edge immer um drei Uhr nachmittags aufgetragen und bestand aus verschiedenen Gängen. Eröffnet wurde das üppige Essen mit einer Cremesuppe, der dann zwei Schüsseln mit Fisch, drei mit Geflügel und drei mit gebratenem und geräuchertem
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