Im Wirbel der Gefuehle
erlauben Sie mir bitte, Ihnen zu sagen, dass Sie mir irgendwie bekannt Vorkommen, Monsieur. Darf ich fragen, wer Ihr Vater war?«
»Ich glaube kaum, dass Sie ihn je getroffen haben, Madame Cassard«, sagte er mit unbewegter Stimme. »Er hieß Jules Lenoir und war ein verstoßener Priester und Missionar bei den Indianerstämmen am Mississippi. Später ließ er sich weiter im Norden, mitten in Louisiana nieder, dort, wo das Land von großen Sümpfen geprägt ist.«
Das Hochziehen der Augenbraue zeigte deutlich, dass Madame Cassard diese Antwort erst einmal verarbeiten musste. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Und Ihre Mutter?«
»Ich fürchte, der Name meiner Mutter wird Ihnen noch weniger sagen.« Christien dachte unwillkürlich an den Fragenkatalog, der normalerweise an jeden Gast gestellt wird, aber im Besonderen, an jemanden, der um die Hand der Tochter anhalten möchte.
Verwitwet oder nicht, sie musste dagegen beschützt werden, jemanden Unwürdiges zu ehelichen. Unter normalen Umständen hätte er den Ansprüchen sicherlich nicht genügt.
»Ihre Mutter oder Ihr Vater sind spanischer Abstammung, oder? Sie werden mir verzeihen, aber Sie sind so dunkelhäutig wie ein Mohr.«
»Maman, du sollst solche Sachen nicht sagen«, ging Reine dazwischen und legte ihre Hand auf den Arm ihrer Mutter. Der Blick, den sie Christien zuwarf, ließ jedoch nur einen Anflug von Entschuldigung erkennen.
»Aber wie soll ich dann etwas von ihm erfahren? Ich kann ja kaum, wie sonst üblich, andere Leute über ihn befragen, nicht wahr?«
»Beantworte das einmal, wenn du kannst«, bemerkte Paul Cassard zu seiner Schwester, ohne von seinem Teller aufzublicken. »Weiß King überhaupt, dass er da ist?«
»Ich glaube nicht, noch nicht«, sagte Reine kurz angebunden.
»Ich wette, er wird nicht gerade glücklich darüber sein.«
»King?«, fragte Christien so beiläufig wie möglich, obwohl er sehr neugierig war.
»Owen Kingsley, genauer gesagt, der Aufseher«, antwortete Reine »Was die Frage meiner Mutter angeht, so sind Sie nicht gezwungen, diese zu beantworten, wenn Sie daran Anstoß nehmen.«
»Ich habe kein Problem damit.« Christien versuchte, den Namen des Aufsehers im Hinterkopf zu behalten, bevor er sich wieder Madame Cassard zuwandte. »Sie hatten mich nach meiner Hautfarbe gefragt, Madame. Meine Mutter war keine Spanierin, sondern eine Tochter der großen Nation der Natchez.«
Der Gesichtsausdruck seiner Gastgeberin zeigte erhebliche Verwirrung. »Wie bitte?«
»Wirklich?«, fragte Paul mit weit aufgerissenen Augen und blickte das erste Mal von seinem Teller auf.
Monsieur Cassard, der gerade seine Suppe löffelte, hielt abrupt inne, und sein Gesichtsausdruck versteinerte sich. Nur Reine aß unbeeindruckt weiter, da sie so etwas schon einmal gehört hatte.
Seine bronzene Hautfarbe, die ein wenig anders war, als die derjenigen, denen man spanischen Vorfahren nachsagte, ließ ihn die ein oder andere unangenehme Erfahrung machen, seit er hier in New Orleans angekommen war. Da hatte er schon weniger höfliche Befragungen über sich ergehen lassen müssen, als die seiner Gastgeberin. Zu viele Leute reagierten empfindlich, was die Hautfarbe anbelangte. Sobald jemand nur in den Verdacht kam, nicht europäischer Abstammung zu sein, sorgte dies mit Sicherheit für Getuschel in der Gesellschaft. Wenn man auch nur einen Teil seiner Vorfahren auf einen der eingeborenen Stämme der Region zurückführen konnte, dann war dies eine Garantie dafür, dass man in ihrer Wertschätzung sank.
»Den Stamm der Natchez gibt es nicht mehr«, fuhr er ungerührt fort. »Sie werden sich vielleicht daran erinnern, dass sie in alle Winde verstreut wurden, nachdem sie sich vor ungefähr hundert Jahren bei Fort Rosalie geschlagen geben mussten. Einige wurden auf karibische Inseln verschleppt und dort in die Sklaverei verkauft, während andere zu befreundeten Stämmen nach Louisiana und Mississippi geflohen waren, wo sie bis vor Kurzem noch wohnten. Mein Vater lebte unter ihnen, und meine Mutter gehörte zu seiner Gemeinde. Sie wurde auf einen christlichen Namen getauft, und bald darauf heiratete sie meinen Vater.«
»Was für eine Romanze!«, rief Paul aus, wobei er zweifelnd hinzufügte, »kein Wunder, dass er aus dem Priesteramt ausgeschlossen wurde.«
»So ist es.« Christien warf ihm einen anerkennenden Blick zu, bevor er fortfuhr. »Die letzten Überlebenden der Natchez wurden vor ungefähr zehn Jahren geschlagen und mit einem halben Dutzend
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