Im Wirbel der Gefuehle
Brustkorbs und verursachten ihm heftige Schmerzen und Übelkeit. Doch er blieb tapfer und biss die Zähne zusammen, um die Schmerzen in Kopf und Brust ertragen zu können.
Die Kleine richtete sich wieder auf und kniete sich neben ihm auf das Laken, wobei sie den Saum ihres weiten Nachthemds um ihre Füße schlang. Sie legte die Stirn in Falten und blickte Christien direkt in die Augen. »Letzte Nacht bin ich zu Ihnen gekommen« sagte sie in einem sehr ernsten Ton. »Ich hatte große Angst. Sie waren weg.«
»Es tut mir leid«, antwortete er bedrückt und versuchte, dabei so ruhig wie möglich liegen zu bleiben. »Männer haben manchmal ganz viele, unterschiedliche Verpflichtungen, weißt du.«
»Das hat grand-pere auch gesagt. Und Sie sind verwundet worden. Mein Albtraum ging aber dann auch so vorbei.«
»War er sehr schlimm?«
Draußen donnerte es erneut, und der Regen ließ kaum nach. Marguerite schaute auf ihre angewinkelten Knie, die das Nachthemd ausbeulten. »Nein, nicht sehr.«
»Erzähl mir davon«, forderte Christien sie auf, während er ihren Gesichtsaudruck beobachtete, in dem sich die erlebten Schrecknisse des letzten Traums widerzuspiegeln schienen. Sie ähnelte in diesem Augenblick sehr ihrer Mutter, so ernst und mutig, trotz der Zweifel und Ängste.
»Der loup-garou war wieder da. Er hat mich angeschaut, während ich geschlafen habe. Er war angsteinflößend und hatte Narben im Gesicht, die im Dunkeln ganz furchtbar aussahen. Ich wollte weglaufen, aber ich konnte nicht, meine Augen habe ich aber ein bisschen aufgemacht.«
»Er hat dich nicht angefasst, dich nicht verletzt?«, fragte Christien so ernsthaft wie möglich.
Ihr zerzauster Zopf baumelte über ihren kleinen Rücken, während sie den Kopf schüttelte.
»Hat er nichts gesagt?«
Sie antwortete mit einem nervösen Kichern. »Nein, Sie Dummerchen. Loup-garous können doch gar nicht reden. Die kommen nur, um einen zu beißen.«
»Ah, so ist das also? Und wer hat dir das erzählt?«
»Babette.«
Das war, soweit er sich erinnerte, der Name ihres Kindermädchens. »Hat sie. Und was noch?« »Demeter hat das auch gesagt. Grand-pere sagt immer, dass ich viel zu klein und gar kein richtiger Happen für den loup-garou wäre und er mich deswegen nicht beachten würde. Aber ich glaube, ihm ist es egal, wie groß ich bin.«
Christien hatte selbst gehört, wie Cassard solche Sachen erzählt hatte, aber weder er noch die anderen schienen sich bewusst zu sein, was sich Marguerite daraus zusammenreimte. »Haben Babette oder Demeter oder dein grand-pere den loup- garou auch schon einmal gesehen?«
»Er verschwindet sofort, bevor man aufwacht. Ich glaube auch nicht, dass er die anderen sehen will.«
»Warum glaubst du, dass er nur dich besuchen kommt?« Christien war nicht wirklich an den Ammenmärchen um den loup-garou interessiert, aber vielleicht würde er auf diese Weise den Ängsten von Marguerite auf den Grund kommen.
Marguerites Stimme wurde ganz leise, sodass sie nur noch flüsterte, und ihre Augen waren ganz weit aufgerissen. »Er ist wie der Wolf, der dem Rotkäppchen folgt, denn er weiß, dass ich klein bin und mich nicht verteidigen kann.«
Die Angst, die sich in den Augen der kleinen Marguerite widerspiegelte, entfachte in Christien eine nie gekannte Wut. Er wollte am liebsten auf der Stelle denjenigen umbringen, der mit ihr so ein gemeines Spiel trieb, und die Idioten, die ihr diesen Aberglauben eingeimpft hatten, am besten gleich mit. Es tat ihm furchtbar leid, dass er die letzte Nacht nicht bei ihr war und dass er ihr womöglich noch weitere Nächte nicht zur Seite stehen konnte.
Er schluckte und versuchte, den Kloß im Hals loszuwerden. »Was würde denn passieren, wenn der loup-garou zur falschen Person käme, zum Beispiel zu jemandem, der nicht klein ist? Könnte er dann nicht verjagt werden?«
»Das würde er nicht tun. Er kommt nur zu mir.«
Gegen so einen Fatalismus konnte man nicht ankommen, dachte sich Christien. Der loup-garou wählte ihrer Meinung nach nur sie aus, sodass auch nur sie in Gefahr war. Wie einsam und hoffnungslos musste sich Marguerite fühlen.
So sehr man auch auf ihre Angst vor diesem Schreckgespenst einging, so nahm man es doch nicht ernst genug, als dass man ihr entsprechenden Schutz angedeihen lassen würde. Jemand könnte mit ihr im selben
Zimmer schlafen oder man würde sie in das Bett von einem Erwachsenen lassen, zu dem sie Vertrauen hatte. Kein Wunder, dass ihre Augen ganz dunkel umrandet
Weitere Kostenlose Bücher