Im Wirbel der Gefuehle
waren und man sie nur schwer zu Bett bringen konnte.
»Sie haben Schnittwunden in Ihrem Gesicht«, sagte sie zaghaft.
»Wirklich?«
Sie nickte. »Die schauen nicht gut aus, aber auch nicht so schlimm wie die vom loup-garou. Tut das weh?«
»Nicht sonderlich.« Im Vergleich zu seinem pochenden Schädel war diese Verletzung an seiner Wange nicht weiter tragisch.
»Ich könnte ein bisschen Salbe auftragen, so wie meine Maman das immer bei mir macht«, bot sie treuherzig an.
»Das würdest du tun?« Er verspürte ein seltsames, warmes Gefühl in seinem Inneren, denn Marguerite hatte zu ihm Zuneigung gefasst und wäre bereit, seine Wunden zu versorgen, obwohl sie ganz offensichtlich seine Verletzungen im Gesicht mit denen ihr angsteinflößenden Verunstaltungen des loup-garou gleichsetzte.
Sie nickte mehrmals, sodass ihr Zopf auf dem Rücken tanzte. »Sie liegt dort drüben auf dem Tisch. Es tut auch nicht weh.«
»Da bin ich sicher.« Mit warmherzigem Blick beobachtete er, wie die kleine Marguerite über das Bettlaken robbte und sich dann zum Nachttisch hinüberstreckte. Er schaffte es gerade noch, eine Falte ihres Nachthemdchens zu fassen, damit sie nicht herunterfiel. Gut gesichert, gelang es ihr schließlich, mit den Fingerspitzen den Tiegel mit der Salbe zu fassen zu bekommen und, einmal in den Händen, brachte sie ihn eilig herbei, ganz nahe an Christien heranrückend.
Ihre Berührung war federleicht, es fühlte sich an wie eine Spinne, die über sein Gesicht krabbelte. Es kitzelte und juckte so gnadenlos, dass er sich sehr zusammenreißen musste, sie nicht von sich wegzustoßen. Stattdessen versuchte er, sich auf das Prasseln der Regentropfen zu konzentrieren, die man durch die geschlossenen Fensterläden hören konnte. Er war aber auch ganz hingerissen von dem Gesichtchen, das über ihn gebeugt war, wie sie mit ihren Zähnen auf die Unterlippe biss, während sie konzentriert ihre Arbeit verrichtete, wie sie ihn mit viel Sorgfalt nach der kleinsten Verletzung absuchte und wie sie darauf bedacht war, ihm nicht wehzutun.
In der gleichen Art und Weise hatte sich Reine auf die Lippe gebissen, als sie dabei war, bei ihm die Maße für das Hochzeitshemd zu nehmen, dachte er zerstreut. Es erschien ihm wie eine Misshandlung, denn ihre Lippen waren so zart und weich. Als er sie so gesehen hatte, fühlte er, wie sich in seiner Magengegend ein dumpfes und hohles Verlangen breitmachte, eine unkontrollierbare Sehnsucht in ihm aufstieg, diese Lippen zu küssen. Und auch an jenem Abend, als er mit ihrem Vater im Raucherzimmer saß und Karten spielte, sah er sie durch einen offenen Türspalt im benachbarten Zimmer. Sie nähte sein Hemd, Stich für Stich, und wieder traktierte sie in voller Konzentration ihre Lippen auf die gleiche verführerische Weise. Das Verlangen nach einem Kuss zu stillen, war dann nicht nur ein Wunsch, sondern geradezu eine Notwendigkeit.
»Wo ist deine Maman denn heute Morgen?«, fragte er unvermittelt.
»Es ist gar nicht Morgen«, verbesserte ihn Marguerite, während sie immer noch vorsichtig, aber kitzelnd die Salbe auftrug. »Das ist schon lange her. Jetzt ist es fast Nacht. Maman macht sich gerade fertig fürs Bett.«
Christien wurde bewusst, dass er einen ganzen Tag verloren hatte. Die Lampe auf seinem Nachttisch brannte nicht als stiller Zeuge von der nächtlichen Wacht an seinem Bett, sondern weil der Abend über River’s Edge hereingebrochen war. Das Nachthemd, das Marguerite trug, war ein Indiz dafür, dass sie bald zu Bett musste, und nicht, dass sie gerade aufgestanden wäre. Reine könnte in diesem Moment nackt in ihrem Schlafzimmer stehen, die Haare offen über ihren Rücken wallen lassen. Und das alles nur ein paar Meter von ihm entfernt.
Er schloss die Augen, um dieses Bild lebhaft bei sich zu behalten, aber auch, damit seine kleine Krankenschwester die dabei unvermeidlich aufkommenden Gefühle nicht direkt auf seinem Gesicht ablesen konnte.
In der geruhsamen Stille, die sich um ihn ausgebreitet hatte, hörte Christien plötzlich Stimmen, die durch das Haus riefen. Das eine oder andere Wort konnte er verstehen und somit auch leicht erraten, was hinter der Aufregung steckte.
Die Rufe kamen näher, und insbesondere eine Stimme war lauter als die anderen zu hören. Marguerite schaute instinktiv über ihre Schulter zur Tür und horchte.
»Ja, ma petite«, sagte er belustigt. »Deine Maman sucht dich. Du solltest besser antworten, denn sie wird sicher gleich auch dieses Zimmer
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