Im Wirbel der Gefuehle
gar intime und familiäre. In dem durch den schwachen Schein einer Lampe erleuchteten Raum standen sie da, Mann, Frau und Kind, so als würden sie gleich, sich in den Armen haltend, zu Bett gehen und das stete Prasseln des nächtlichen Regens sie friedlich einschlafen lassen. Das fühlte sich alles so richtig an und war doch noch nicht wahr geworden, was Christien einen Stich durch die Brust jagte, der schmerzhafter war, als es eine Schusswunde je sein könnte. Er wollte es so sehr, sehnte sich danach, dass dies wahr würde. Er wäre bereit, alles dafür zu tun, das schwor er sich insgeheim, egal ob er Reines Vater hofieren musste, ihre Mutter, den Bruder, die Tochter oder die widerspenstige Dame selbst. Schon einmal hatte er seine Familie verloren, diese hier würde er behalten.
Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, bevor er sich, seine Stimme nur mühsam in den Griff bekommend, ihr zuwandte. »Ich wusste bis vor wenigen Sekunden nicht, dass Marguerite gesucht wurde. Und was das Verstecken angeht, so sollte es nur eine harmlose Überraschung sein.«
Reine setzte ihre Tochter auf dem Boden ab, ohne dabei jedoch ihre verärgerte Miene abzumildern. Falls sie ihm in irgendeiner Weise Glauben schenkte, so war ihr das zumindest nicht anzusehen. »Ich habe ihr strikt verboten, dich zu stören.«
Er bedachte beide gleichermaßen mit einem matten Lächeln. »Sie hat mich überhaupt nicht gestört. Zumindest, solange sie nicht auf der Matratze herumgehüpft ist.«
»Du hast Fieber, ist dir das klar«, informierte Reine ihn über seinen Gesundheitszustand, in einem Ton, der einer Anschuldigung gleichkam.
»Das ist normal bei derartigen Verletzungen.« Er verschnaufte kurz, denn seine stechende Wunde machte ihm mehr zu schaffen, als ihm im Augenblick lieb war. Sich ein wenig auf die Seite drehend, versuchte er, sich bequemer zu positionieren, damit der Schmerz nachließe. »Wie schlimm ist es denn?«, fragte er so beiläufig wie möglich.
»Du wirst schon durchkommen, vorausgesetzt, es kommt zu keiner Blutvergiftung. Das ist zumindest die Einschätzung von Dr. Laborde. Ich hatte Paul nach ihm geschickt. Er war es dann auch, der dir die Kugel entfernt hat; er erschien mir ziemlich kompetent.«
»Ja, ich kenn mich mit solchen Sachen aus«, kommentierte Christien trocken. »Er ist sehr gewissenhaft, wenn ihm auch ein wenig Mitgefühl fehlt.«
»Du warst übrigens auch nicht bei Bewusstsein, als er dich verarztet hat.«
»Besser so.« Laborde war der Arzt, den die Fechtmeister am häufigsten riefen, denn er hatte eine ausgezeichnete Reputation und war Spezialist im Heilen von Schuss- und Stichwunden. Ob Laborde wohl erwähnt hatte, dass er ihm kurze Zeit zuvor, am selben Abend, bereits einmal begegnet war, und zwar, als er ihn für Barichere zu Hilfe geholt hatte? Bestimmt nicht, denn sonst hätte Reine es sicherlich erwähnt. Ein anderer Grund für Labordes Beliebtheit war seine absolute Diskretion. Sicherlich war dies nur ein Zufall gewesen, dass man ausgerechnet ihn ausgewählt hatte, oder Paul wusste über dessen Verbindung zu den Leuten der Passage de la Bourse.
»Hast du eigentlich sehen können ... ich meine, weißt du, wer dir das angetan hat?«, fragte Reine neugierig und zerstreut zu gleich, denn sie hatte ihre Augen unentwegt auf Marguerite gerichtet. Während die beiden sich unterhielten, hatte es die Kleine geschafft, sich aus den Händen ihrer Mutter zu befreien. Sie kletterte wieder auf das für sie sehr hoch gelegene Bett, doch diesmal zog sie es vor, zu Christiens Füßen sitzen zu bleiben.
Er schüttelte kurz den Kopf. »Ich habe nichts erkennen können, außer der Rauchwolke, als der Schuss sich löste und ich zu Boden gestreckt wurde. Wahrscheinlich war ich nicht mehr so aufmerksam, als ich River's Edge schon in Reichweite wähnte.«
»Hast du keine Ahnung, wer dich umbringen wollte ? «
»Im Moment noch nicht«, antwortete er schnell, bevor sie noch weiter bohren würde, und wechselte abrupt das Thema. »Bei wem muss ich mich bedanken, wer hat mich zurück ins Haus gebracht?«
»Auf der Straße gefunden habe ich dich, wenn es das ist, was du meinst. Ich habe einen Schuss gehört und bin los, als ich dann schließlich ankam, waren die Angreifer aber schon weg.«
»Ohne mir endgültig den Garaus zu machen?«
»Ich nehme mal an, sie dachten ... dachten, dass das nicht mehr nötig wäre.«
Während sie mit ihm sprach, war ihr Blick nicht auf ihn, sondern auf eine gläserne Karaffe gerichtet,
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