Im Zauber der Gefuehle
Sydney.«
»Wusstest du, dass er ein Viscount ist, als du ihn geheiratet hast?«
»Nein, das nicht.« Lottie suchte nach den richtigen Worten, um die komplizierten Zusammenhänge möglichst einfach zu erklären. »Ihr wisst ja, dass ich die Schule verließ, um Lord Radnor nicht heiraten zu müs
»Der absolute Skandal auf Maidstone!«, unterbrach Arabella sie. »Sie sprechen noch heute davon, habe ich mir sagen lassen. Keine der Lehrerinnen hätte sich je erträumen lassen, dass die süße, gehorsame Charlotte Howard einfach so verschwinden würde.«
Peinlich berührt hielt Lottie inne. Stolz war sie nicht auf das, was sie getan hatte, doch sie hatte immer noch das Gefühl, damals keine andere Wahl gehabt zu haben. »Um nicht gefunden zu werden, änderte ich meinen Namen und arbeitete als Gesellschafterin von Lady Westcliff in Hampshire ...«
»Du hast gearbeitet! «, wiederholte Arabella ehrfürchtig. »Mein Gott, was musst du gelitten haben!«
»Nicht übermäßig«, erwiderte Lottie mit einem gequälten Lächeln. »Die Westcliffs waren sehr gut zu mir, und ich mochte die Herzoginwitwe. Während ich in ihren Diensten war, machte ich die Bekanntschaft von Mr. Gentry ... äh ... Lord Sydney. Er machte mir bald darauf einen Heiratsantrag ...« Sie hielt inne, während jener Abend in Lord Westcliffs Bibliothek an ihrem geistigen Auge vorüberzog, der Flammenschein auf Nicks Gesicht, als er sich auf ihre Brust herabbeugte ... »Und ich nahm ihn an«, fügte sie rasch hinzu und spürte, wie ihr die Schamesröte in die Wangen stieg.
»So, so.« Samantha lächelte über Lotties Verlegenheit und schien den Grund dafür erraten zu haben. »Anscheinend war es ein denkwürdiger Antrag.«
»Waren deine Eltern sehr verstimmt?«, wollte Arabella wissen.
Lottie nickte und dachte wehmütig, wie unangemessen ein Ausdruck wie »verstimmt« die Reaktion ihrer Familie umschrieb.
Auf Samanthas ernstem Gesicht spiegelte sich Verständnis. »Sie werden dir nicht bis in alle Ewigkeit böse sein, Liebes«, sagte sie mit einem Blick fürs Praktische, der viel trostreicher war als jedes Mitgefühl. »Wenn dein Mann auch nur halb so reich ist, wie man sagt, werden die Howards sich beizeiten glücklich schätzen, ihn als ihren Schwiegersohn in die Arme schließen zu können.«
Die drei unterhielten sich weiterhin angeregt, sprachen über vergangene Zeiten und machten Pläne, einander bald zu besuchen. Lottie merkte nicht, wie die Zeit verstrich, bis das Orchester einen seit kurzem sehr beliebten Walzer spielte, der auf der Stelle einige eifrige Pärchen dazu verführte, gemeinsam durch den Saal zu wirbeln. Da entschuldigte Lottie sich bei ihren Freundinnen, um zur Galerie im ersten Stock hinaufzugehen, von wo sie nach Nick Ausschau halten wollte. Hier oben waren einige Pärchen in intime Gespräche vertieft, halb verdeckt von den großen Blumenarrangements, die an dem hölzernen Geländer der Galerie angebracht waren. Lottie blickte zu Boden und ging mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an ihnen vorüber.
Kurz darauf berührte sie jemand leicht am Arm, und sie hielt erwartungsvoll inne, da sie glaubte, Nick habe sie gefunden. Doch als sie nach unten auf die Hand blickte, die sich immer fester um ihr Gelenk legte, war es nicht Nicks Hand. Lange, knochige Finger hielten ihr Handgelenk gepackt und mit kaltem Entsetzen vernahm sie die Stimme, die sie seit Jahren in ihren Albträumen heimsuchte.
»Dachtest du, du könntest dich für immer vor mir verstecken, Charlotte?«
Zwölftes Kapitel
Lottie nahm all ihren Mut zusammen und sah in das Gesicht von Arthur, Lord Radnor. Der Zahn der Zeit hatte verblüffende Spuren hinterlassen, als wären nicht zwei, sondern zehn Jahre vergangen. Er war unnatürlich blass, seine Haut hatte die Farbe sonnengebleichter Knochen und stand in unschönem Kontrast zu den dunklen Brauen und Augen. Tiefe, verbitterte Falten zerfurchten sein Gesicht.
Lottie hatte gewusst, dass es unvermeidbar wäre, Lord Radnor eines Tages über den Weg zu laufen, und er ihr mit Hass begegnen würde. Doch was sie in seinen Augen sah, war viel beängstigender: Hunger. Eine Gier, die nichts mit sexuellem Verlangen zu tun hatte, sondern etwas viel Verzehrenderes. Instinktiv spürte sie, dass sein Wunsch, sie zu besitzen, während ihrer Abwesenheit nur größer geworden war, und dass ihm ihr Verrat die tödliche Entschlossenheit eines Scharfrichters verliehen hatte.
»Mylord«, erwiderte sie mit fester Stimme, obgleich ihre
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