Im Zauber der Gefuehle
Als ihr klar wurde, was sie beinahe gesagt hätte, brach sie abrupt ab.
»Ihn so verabscheut?«, beendete Sophia den Satz für sie, wobei sie kläglich lächelte. »Ja, die beiden haben nicht viel füreinander übrig, doch das hat meinen Mann nicht gehindert, alles in seiner Macht stehende zu tun, um Nick zu helfen. Du musst nämlich wissen, dass Nick, selbst als er längst in der Bow Street angeheuert hatte, reichlich ... leichtsinnig war.«
»Ja«, räumte Lottie ein, »er ist nicht gerade der Vorsichtigste.«
Sophia schenkte ihr ein bitteres Lächeln. »Ich fürchte, es ist mehr als das, meine Liebe. Seit drei Jahren geht Nick die unglaublichsten Risiken ein und kümmert sich einen Pfifferling darum, ob er lebt oder stirbt.«
»Aber wieso?«
»Gewisse Ereignisse in Nicks Vergangenheit haben ihn verbittert und gleichgültig werden lassen. Mein Mann und Sir Grant haben beide versucht, das zu ändern. Mit ihren Methoden war ich nicht immer einverstanden, und ich kann dir versichern, dass Sir Ross und ich schon heftig deswegen gestritten haben. Doch mittlerweile scheint es fast so, als hätte mein Bruder sich in vielen Dingen gebessert, und dass er dich geheiratet hat, Lottie, macht mir Hoffnung.« Sie griff nach Lotties Hand und drückte sie herzlich.
»Sophia ...« Lottie wandte den Blick ab, während sie zögernd sprach. »Unsere Verbindung lässt sich kaum als Liebesheirat bezeichnen.«
»Nein«, pflichtete die andere ihr bei. »Ich fürchte, dass es Nick fremd ist, zu lieben und geliebt zu werden. Zweifellos wird es eine Zeit lang dauern, bis er das Gefühl überhaupt als solches erkennt.«
Lottie war sich sicher, dass Sophias Worte trostreich gemeint waren, doch die Vorstellung, Nick Gentry könnte sich in sie verlieben, war nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch beängstigend. Niemals würde er sich diese Blöße geben und jemandem derart viel Macht über sich einräumen, und wenn er es doch täte, könnte es gut sein, dass er genauso besessen und herrschsüchtig wie Lord Radnor würde. Sie wollte von niemandem geliebt werden. Obwohl es offensichtlich war, dass die Liebe manchen Leuten — wie Sophia und Sir Ross — viel Freude bereitete, stellte sie in Lotties Gedankenwelt eine Falle dar. Das Arrangement, das sie und Nick ausgeklügelt hatten, war viel sicherer.
Nick fühlte sich seltsam dem Schicksal preisgegeben, nachdem er das Revier in der Bow Street verlassen hatte.
Es hatte angefangen zu regnen und die aufkommenden Wolken versprachen noch stärkere Schauer. Ohne Hut schlenderte er den glatten Bürgersteig entlang und spürte, wie die kalten, großen Wassertropfen durch sein Haar sickerten und auf den feinen Wollstoff seines Jacketts niederprasselten. Er sollte irgendwo Schutz suchen ... im Brown Bear, einer Taverne gegenüber von Bow Street Nr. 3 ... oder vielleicht in Toms Kaffeehaus, wo der Lieblingsarzt der Runner zu erscheinen pflegte ... oder zu Hause ... doch vor diesem Gedanken schreckte er augenblicklich zurück.
Der Regen wurde immer stärker, sodass sich Straßenverkäufer und Fußgänger unter den Markisen der Geschäfte unterstellten. Magere Knaben schossen auf die Straße, um Droschken für Gentlemen zu rufen, die vom Wetter überrascht worden waren. Die Luft verlor ihren charakteristischen Stallgeruch, als der Frühlingsschauer Frische über die Stadt brachte. Braune Flüsse strömten durch die Straßenrinnen und wuschen den restlichen Unrat fort, den die Straßenkehrer auf ihren nächtlichen Runden liegen gelassen hatten.
Ohne Ziel ging Nick weiter, während ihm der Regen über das Gesicht rann und von seinem Kinn tropfte. Wenn er nicht im Dienst war, zog er gewöhnlich mit Sayer oder Ruthven durch die Stadt, um über einem Bier und einem Beefsteak Geschichten auszutauschen, einem Preisboxkampf beizuwohnen oder sich in der Drury Lane eine frivole Komödie anzusehen. Manchmal machten sie auch in kleinen Gruppen ihre Runden und achteten in den Straßen und Gassen auf jegliche Anzeichen von Ärger.
Nick wusste, dass er schon bald den Kontakt zu seinen ehemaligen Kameraden verlieren würde. Es wäre dumm, sich Illusionen darüber zu machen. Er konnte sich nicht länger in ihrer Welt bewegen - das hatte Sir Ross zu verhindern gewusst. Doch weshalb? Warum musste dieser verfluchte Bastard sich in alles einmischen und konnte ihn nicht einfach in Ruhe lassen? So sehr er sich auch den Kopf zerbrach, kam er doch auf keine zufrieden stellende Antwort. Vielleicht hatte es etwas mit Sir
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