Im Zauber der Gefuehle
zerknirscht und von Reue übermannt in die Knie gezwungen wurde. Mit einer besitzergreifenden Geste legte er den Arm um Lotties schlanke Taille, wobei er Mrs. Howard kühl und unerschrocken in die Augen sah. »Es bringt nichts, über die Vergangenheit zu reden, wir sind gekommen, um über die Zukunft zu sprechen.«
»Ihr habt nicht das Geringste mit unserer Zukunft zu tun, Mr. Gentry.« In den blauen Augen der Frau lag eisige Verachtung. »Ich gebe Euch ebenso viel Schuld an unserer Situation wie meiner Tochter. Niemals hätte ich mit Euch gesprochen und Eure Fragen beantwortet, wenn ich gewusst hätte, dass Ihr Charlotte für Euch wolltet.«
»So war es nicht geplant.« Nicks Finger strichen über Lotties Taille, und er erinnerte sich daran, wie wunderbar weich sie sich unter dem Korsett anfühlte. »Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, dass ich Lottie heiraten würde, bevor ich ihr begegnete. Aber Ihr müsst doch einsehen, dass es besser für Lottie war, mich zu heiraten, als Radnor.«
»Da irrt Ihr Euch aber gewaltig«, zischte Mrs. Howard. »Arroganter Spitzbube! Wie könnt Ihr es wagen, Euch mit einem Peer, einem Mitglied des Hochadels, zu vergleichen?«
Als er spürte, wie Lottie sich bei diesen Worten versteifte, kniff er sie leicht zum Zeichen, ihre Mutter nicht zu verbessern. Niemals würde er seinen eigenen verfluchten Titel heranziehen, um sich auf irgendeine Weise mit Radnor auf eine Stufe zu stellen.
»Lord Radnor ist ein Mann von Vermögen und unübertrefflicher Vornehmheit«, fuhr Mrs. Howard fort. »Er ist gebildet, höchst kultiviert und außerdem in jeglicher Hinsicht ein Ehrenmann. Und ohne den Egoismus meiner Tochter und Euer Einmischen, wäre Charlotte jetzt seine Frau.«
»Ihr habt den einen oder anderen Punkt ausgelassen«, konterte Nick. »Zum Beispiel, dass Radnor dreißig Jahre älter als Lottie ist und außerdem völlig den Verstand verloren hat.«
Zwei tiefrote Flecken bildeten sich auf Mrs. Howards Wangenknochen. »Er hat nicht den Verstand verloren!«
Um Lotties willen kämpfte Nick gegen die Wut an, die auf einmal in ihm hochstieg. Er stellte sich Lottie als kleines, hilfloses Kind vor, das man mit einem Raubtier wie Radnor alleine in ein Zimmer einsperrte — und diese Frau hatte es zugelassen. Insgeheim schwor er sich, dass Lottie nie wieder schutzlos sein würde. Er warf Mrs. Howard einen eiskalten Blick zu. »Ihr habt Euch nichts dabei gedacht, als Radnor ein derart obsessives Interesse an einem achtjährigen Mädchen an den Tag legte?«, fragte er leise.
»Der Aristokratie gestattet man ihre Launen, Mr. Gentry, da ihr vornehmeres Blut ein paar exzentrische Schwächen mit sich bringt. Aber davon könnt Ihr natürlich nichts wissen.«
»Seid Euch da nicht so sicher«, meinte Nick sarkastisch. »Aber davon abgesehen, verhält sich Lord Radnor auch ansonsten alles andere als rational. Ehemalige Freunde und Bekannte haben ihm längst wegen seiner so genannten Launen den Rücken gekehrt. Er hat sich von der Gesellschaft zurückgezogen und verbringt die meiste Zeit in seinem Herrenhaus, wo er sich vor dem Sonnenlicht verkriecht. Sein ganzer Lebensinhalt besteht darin, ein verletzliches, junges Mädchen in die ideale Frau zu verwandeln — die ohne seine Erlaubnis nicht einmal atmen darf. Bevor Ihr Lottie dafür verantwortlich macht, dass sie fortgelaufen ist, beantwortet erst einmal folgende Frage, aber bitte ehrlich: Würdet Ihr einen solchen Mann heiraten wollen?«
Mrs. Howard wurde eine Antwort erspart, da Lotties jüngere Schwester Ellie das Zimmer betrat, ein hübsches, sechzehnjähriges Mädchen mit vollen Wangen und langen Wimpern um die strahlend blauen Augen. Ihr Haar war um etliche Nuancen dunkler als Lotties, hellbraun anstatt blond, und sie war um einiges fülliger als ihre ältere Schwester. Schon im Türrahmen stieß sie einen Freudenschrei aus. »Lottie!« Sie stürzte auf ihre ältere Schwester zu und umarmte sie stürmisch. »Oh, Lottie, du bist zurück! Ich habe dich jeden Tag vermisst und an dich gedacht und mir Sorgen gemacht ...«
»Ellie, ich habe dich noch viel mehr vermisst«, brachte Lottie unter ersticktem Lachen hervor. »Ich traute mich nicht, dir zu schreiben, aber, ach, ich sehnte mich so danach! Man könnte die Wände mit den Briefen tapezieren, die ich schicken wollte ...«
»Ellie«, unterbrach ihre Mutter die beiden. »Geh zurück auf dein Zimmer.«
Entweder verhallte ihre Stimme ungehört oder ihr wurde keine Beachtung geschenkt, denn Ellie
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