Im Zeichen der Angst Roman
Bierdose in der Hand, sagte er: »Hallo, Liebling! Tut mir leid«, und fuchtelte mit der Dose durch die Luft. »Aber dieser Fall, na, du weißt schon, der Scheidungsfall. Wir haben gewonnen und ein bisschen gefeiert. Nicht so schlimm, denke ich, oder, Liebling?«
Ich wandte mich wortlos ab und ging zurück in die Küche. Natürlich folgte er mir, denn das tun Männer in solch untauglichen Situationen immer. Während er hinter mir herlief, spürte ich, wie all die Sätze, die ich mir überlegt hatte, in mir hochstiegen, und zugleich warnte mich eine leise Stimme, sie nicht herauszulassen. Doch ich ignorierte die Stimme. Ich war zu zornig.
Kai wies mit einem Finger auf die Weinflasche und sagte: »Ah, ein 2000er Bordeaux. Prima Jahrgang. Preisgekrönt.«
Etwas explodierte in mir, und ich schrie ihn an, dass es mich einen Scheiß kümmerte, ob der Bordeaux preisgekrönt sei oder
nicht, nachdem ich neun Stunden gearbeitet, unsere Tochter zu Bett gebracht, einen tollen Salat gemacht und fünf Stunden auf ihn gewartet hatte, weil wir ins Kino gehen wollten.
Das betrunkene Grinsen auf seinem Gesicht schmolz, wurde kleiner und blasser, bis es nur noch aus einem schiefen Mundwinkel bestand. Unterdessen versuchte meine leise Stimme erneut, mich zu warnen, es gut sein zu lassen, es nicht noch schlimmer zu machen. Aber ich ignorierte sie. Diesmal würde ich auspacken und alles herauslassen, alle Verletzungen und Schmerzen der letzten Monate. Meine Verlassenheit und Einsamkeit, meine Trauer, meine Wut. Meinen Zorn. Ich liebte ihn, liebte ihn immer noch, doch das gab ihm nicht das Recht, mich an diesem Freitagabend zu versetzen.
Als ich später auf dem Balkon stand und zusah, wie er aus meinem Leben verschwand, konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, was ich schließlich alles gesagt hatte. Ich wusste auch nicht mehr, was er alles erwidert hatte. Aber ich wusste, dass wir beide immer noch eins drauf gesetzt hatten, bis wir uns besinnungslos angeschrieen hatten und einer dem anderen die Schuld am Tod unserer Tochter ins Gesicht geschleudert hatte.
Danach hatten wir uns angesehen, erschrocken und erstarrt über das, was wir einander gerade angetan hatten. Die Luft schien noch eine Weile von den Worten zu vibrieren, die Zeit stand still und wir wussten beide, dass es kein Zurück mehr gab und dass alles Verzeihen die Macht dieser Anschuldigungen nicht zurücknehmen konnte.
Es war das Ende unserer Ehe.
Ich saß schweigend am Küchentisch und lauschte den Geräuschen, die aus dem Schlafzimmer zu mir drangen, weil Kai seine Sachen packte. Nur das Notwendigste. Tage später kam er noch mehrmals vorbei, während ich in der Redaktion war, und holte aus der Wohnung, was er benötigte. Den Rest packte ich an einem Wochenende in ein paar Umzugskartons und ließ sie mit einem Boten in seine Kanzlei bringen. Von da an sah
ich ihn nur noch, wenn er Josey am Wochenende abholte, bis er auch diese Treffen einstellte und für mich zu einem Schatten wurde, der schließlich von den Schatten unserer Vergangenheit verschluckt wurde.
Ich wollte nicht, dass mir eine solche Enttäuschung noch einmal widerfuhr, doch mein Körper lag weiter dicht an David gepresst, und ich fiel noch einmal in einen traumlosen Schlaf.
35
Ein Lied kam von so weit entfernt, dass ich es kaum hören konnte, und eine sanfte Stimme sang etwas zu den Klängen eines Pianos.
Ich öffnete verschlafen die Augen. Es war dämmrig, es war nicht die richtige Zeit zum Aufstehen. Ich war immer noch todmüde.
Elton John sang etwas deutlicher »Rocket Man«. Mit einem Aufschrei fuhr ich hoch. Es war der vierte Tag. Der Tag der Geldübergabe. Der Tag, an dem ich meine Tochter zurückerhalten sollte.
Schlagartig war ich hellwach, auch wenn ich nicht wusste, wo ich war. Ich schaute suchend nach dem Ort, von dem das Klingeln zu mir drang, und sprang aus dem Bett. Mit wenigen Sätzen war ich an dem Stuhl, auf dem meine Tasche lag. Ich riss den Reißverschluss auf und das Handy heraus.
»Was?«, knarzte meine Stimme noch ungeübt im Schlafmodus.
Am anderen Ende herrschte einen Augenblick lang Schweigen, und ich fragte mich schon, ob vielleicht Josey am Apparat war. Doch dann fragte die blecherne Computerstimme: »Ausgeschlafen?«
Woher wussten diese Leute, dass ich noch im Bett lag? Ich beschloss, dass sie es nicht wissen konnten.
»Hören Sie auf zu bluffen. Vielleicht stellen Sie sich einfach mal vor, und dann sagen Sie mir, wo ich meine Tochter abholen kann.« Die
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