Im Zeichen der Angst Roman
ging er um das Bett und stieg auf der anderen Seite hinein. Als er das Licht gelöscht hatte, hielt ich den Atem an. Oh, Mann, dachte ich, jetzt kommt’s. Ich fühlte mich wie eine Pubertierende, die die erste Nacht mit ihrem Freund verbringt.
»Clara?«, fragte er leise.
»Ja?«
»Schlaf schön.«
»Du auch.« Ich war verblüfft - war das wirklich alles?
Es war so, denn nur Augenblicke später verrieten mir seine gleichmäßigen Atemzüge, dass er schlief. Vielleicht würde er später aufwachen, doch jetzt war er ganz weit weg.
Ich selbst rechnete nicht damit, schnell einzuschlafen. Zu viel ging mir im Kopf herum. Meine Gedanken kreisten um Josey, um die Entführer, um meine Halbschwester Madeleine und deren Tochter Rebecca. Ich dachte an Lydia von Weiden, die einzige Freundin, die meine Mutter laut Christine Metternich in Horststätt gehabt haben soll. Mit ihr musste ich unbedingt sprechen. Schnellstens sogar … Oder irgendwann, wenn ich Josey zurückhatte. Bis dahin tat ich gut daran, mich zu entspannen, wenn ich schon nicht einschlafen konnte. Zur Not würde ich später hinunter in die Bibliothek gehen und mir ein Buch heraussuchen, das sich zu lesen lohnte. Der Raum war von unten bis oben gefüllt mit Büchern. Irgendetwas musste darunter sein, das mich ablenkte.
Es gab noch etwas anderes, das mich beschäftigte.
Seit jener Nacht, bevor Kai aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, hatte ich mit keinem Mann mehr ein Zimmer, geschweige denn ein Bett geteilt, und so war ich es nicht mehr gewöhnt, dass jemand neben mir lag und gleichmäßig atmete. Zwar hörte ich das leise Aus - und Einatmen kaum, doch allein der Gedanke, dass ein Mann neben mir lag, ließ mich angespannt lauschen und das Atmen zu einem Geräusch anschwellen, das in meinen Ohren stampfte und röhrte wie ein Presslufthammer.
Auf den Atem eines anderen zu lauschen muss dennoch etwas von Schäfchenzählen haben, denn ich fiel in kürzester Zeit in einen tiefen Schlaf, und ich träumte weder von Johanna noch von Josey. Ich träumte überhaupt nicht.
Als ich das erste Mal wach wurde, war es noch immer dunkel. Im ersten Moment wusste ich nicht, dass ich mich an Davids
warmen Rücken gekuschelt hatte, meinen Bauch an seinen Rücken gepresst, meine Kniescheiben in seinen Kniekehlen, einen Arm um seine Taille gelegt, wie ich es immer bei Kai getan hatte, erst in dem schmalen Bett des Studentenwohnheims, später in unserem Ehebett in Solthaven und schließlich in dem komfortablen Kingsize-Bett in Hamburg.
Als mir schließlich bewusst wurde, dass ich mich an Davids Rücken drängte, blieb ich einfach liegen. Ganz still lag ich da und wagte nicht, mich zu rühren, so sehr genoss ich die Nähe und die Wärme seines Körpers.
Ich dachte daran, wie sehr einen die Liebe beschützen konnte, wie warm sie war und wie begütigend. Ich dachte, dass das, was Kai und mich verbunden hatte, eine ganz große Liebe gewesen war und dass er mit mir durch unser gemeinsames Leben getanzt war, bis ihn der Tod unserer Tochter von mir getrennt hatte.
Ich dachte an all die Nächte, die ich nach Kais Auszug schlaflos verbracht hatte. Er war ein solcher Idiot gewesen, weil er gegangen war, und ich eine Närrin, weil ich ihn hatte gehen lassen.
Ich stand wieder auf dem Balkon unserer Wohnung nach diesem letzten gemeinsamen Abend im Mai 2004. Ich schaute durch die Wipfel der Kastanien in der Hochallee auf die gegenüberliegende Seite und suchte in den Häusern nach einem Licht. Ich war sicher, würde ich ein Licht finden, könnte ich den Namen meines Mannes durch die Nacht rufen, und er würde zu mir zurückkehren. Doch ich fand kein Licht. Stattdessen hörte ich auf die Geräusche, die von weit unten zu mir heraufdrangen. Die leiser werdenden Stimmen zweier Betrunkener, die im Schein der Straßenlaternen über den Gehweg torkelten, das An - und Abschwellen der Motoren, wenn die Autos unten an der Kreuzung Rot und dann wieder Grün hatten. Ich hörte unter mir das Schlagen der Haustür und sah Kai auf den
Gehweg treten. Ich schaute ihm nach, wie er mit zwei Reisetaschen über die Straße ging, mit der Fernbedienung die Tür seines BMW öffnete und die Taschen hineinwarf. Ich hörte das Auf heulen des Motors, sah das Setzen des Blinkers, wie er das Auto in den Freitagnachtverkehr einfädelte, wie es dann dort mit den Autos der Nachtschwärmer verschmolz, kleiner wurde und schließlich meinen Blicken entschwand.
Er hatte sich einen wirklich schlechten
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