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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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Sie war völlig aus dem Häuschen geraten, als ich ihr gesagt hatte, dass es natürlich auch ein Kapitel über das Horststätter Herrenhaus geben würde. Sie hatte darüber komplett vergessen, dass sie noch eine halbe Minute
zuvor ungläubig in das Telefon geschwiegen hatte, als ich mich als Claires Tochter vorgestellt hatte.
    Sie zog mich weiter, während sie sprach und mich durch ein paar Räume im Erdgeschoss führte.
    »Sie werden hingerissen sein«, sagte sie und öffnete eine neue Tür. »Diese Räume müssen Sie einfach in Ihr Buch aufnehmen, und dann müssen Sie es mir unbedingt schicken.«
    Auf knarrenden Dielen durchschritten wir einen großen Salon, dessen Wände mit dunkelgrüner, schwerer Seide bespannt waren und der zu seiner Zeit für Tanzgesellschaften und kleinere Bälle mit vielleicht 60 Personen vorgesehen war. Darauf folgte ein kleinerer Salon in Gelb für etwa 30 Gäste und anschließend ein dritter, intimer Salon, dessen Wände in dem eingeschalteten Deckenlicht in tiefem Weinrot glänzten und den man als Lesezimmer mit zwei eingebauten Mahagonischränken ausgestattet hatte. Eine englische Sitzecke aus weinrotem Leder gruppierte sich um einen Kamin, in dem ein Holzfeuer glimmte. In einem Erker, der zum rückwärtigen Garten hinausging und von dem aus man einen herrlichen Blick auf ein kleines Haus und den Gutsteich hatte, stand ein großer Esstisch mit sechs Lehnstühlen auf einem abgewetzten, doch noch immer prächtigen Perserteppich. Sie wies auf einen Stuhl, half mir aus meiner Jacke und bat mich, Platz zu nehmen, während sie die Jacke auf einen anderen Stuhl legte und weiterplauderte, welche Gäste hier ihren Nachmittagstee genommen hatten und ob ich vielleicht auch einen wollte. Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern klingelte mit einer messingfarbenen Glocke, woraufhin eine ältere Frau mit einem Tablett erschien und schweigend Tee und Gebäck servierte, während die Hausherrin ohne Punkt und Komma weitersprach.
    Nach der Kälte draußen machten mich die Wärme und der gleichmäßige Fluss ihrer Rede etwas benommen, und ich erinnerte mich schon am Abend nicht mehr genau, wer angeblich alles zu ihren Freunden und Besuchern gezählt hatte, aber ich
weiß noch, dass Inge Meisel, »meine alte Förderin vom Theater«, »Lennie« Bernstein und natürlich das Genie Peter Zadek an demselben Tisch mit ihr gesessen haben sollten wie ich.
    Es konnte durchaus sein, dass sie all diese Leute kannte. Vielleicht flüchtig von früher. Doch ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der aristokratische Leonard Bernstein bei dieser wie aufgezogen agierenden Gutsherrin gesessen und sich ihren Ergüssen ergeben hatte.
    Irgendwann ebbte ihr Redeschwall ab, und so ergriff ich die Gelegenheit, sie nach dem alten Wasserturm zu fragen, der zum Gut gehörte.
    »Oh, eine so böse Geschichte. Dort starb vor vielen Jahren ein Kind. Ich habe das Gelände seitdem nicht mehr betreten. Zu grausig, diese Geschichte.«
    Ich hätte sie gern nach dem Verlust ihrer eigenen Tochter gefragt, doch ihr Gesicht verschloss sich, als sie von meiner Tochter sprach, und so schwieg ich.
    »Haben Sie denn nicht bei Ihren Vorbereitungen davon gehört oder gelesen?«, fragte sie, als ich keine Anstalten machte, etwas zu erwidern.
    »Doch, doch«, sagte ich vorsichtig. »Aber ich las auch, dass es Zweifel daran gibt, ob Jörn Bruchsahl wirklich der Entführer war.«
    »Welche Zweifel?«, fragte sie kühl. »Die Mutter des entführten Kindes hat ihn erschossen und wurde dafür rechtskräftig verurteilt.« Sie dachte einen Moment nach. »Aber sehen Sie, diese unguten Geschichten aufzuwärmen, das bringt niemanden weiter. Wir haben hier nichts damit zu tun gehabt, und es hat lange genug gedauert, bis das Dorf wieder zur Ruhe kam.«
    »Es gab also doch Zweifel«, sagte ich.
    Frau von Weiden lächelte. »Dörfer sind eben klein. Es geschieht hier nicht alle Tage, dass ein Kind umkommt und der Schuldige umgebracht wird. Natürlich fragte man sich damals, ob Jörn das Ganze allein hätte hinbekommen können. Aber
sehen Sie, er war schlau. Das war er schon immer. Ein Streber in der Schule, ein Streber beim Studium, und dabei immer die Nase hoch, als sei er schlauer als alle anderen.«
    Sie schwieg und knabberte an einem Mürbteigplätzchen.
    Ich trank einen Schluck Tee und setzte mein liebenswürdigstes Lächeln auf. Ich hatte von Jörn Bruchsahl einen gänzlich anderen Eindruck gehabt, doch ich hütete mich, ihr zu

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