Im Zeichen der Angst Roman
Motors und das Rauschen des Windes, der draußen an den Bäumen rüttelte und einen kalten Luftzug durch das Auto fegte.
»Jemand mit einem schlechten Gewissen vielleicht«, sagte ich.
»Kann doch auch einer sein, der die Tote ehren will«, sagte Hazel, wobei der Satz eher wie eine Frage denn wie eine Feststellung klang.
»Nein«, sagte ich. »Als die Polizei den Turm damals untersuchte, waren weder Johannas Ranzen noch die Mütze noch überhaupt irgendwelche Spuren dort zu finden. Es kann also nur jemand sein, der mit der Entführung direkt zu tun hatte. Sonst hätte er die Sachen nicht.«
»Dann müssen wir die Polizei informieren«, sagte David. »Unbedingt, Clara. Das können wir nicht verschweigen.«
»Nicht jetzt«, bat ich. »Bitte nicht jetzt. Sie können doch heute, mitten in der Nacht, eh nichts mehr machen. Wenn die Sachen oder Spuren heute noch da waren, sind sie auch morgen noch da. Aber wenn Mankiewisc oder Groß davon erfahren,
müssen wir ihnen erzählen, weshalb wir dort waren. Dann müssen wir auch sagen, dass wir zum Haus meiner Mutter fahren. Sie werden es sperren und vom Dach bis zum Keller durchwühlen. Doch ich möchte es mir vorher ansehen. In Ruhe, ohne ihre Fragen oder Unterstellungen. Ich will es sehen, bevor sie irgendetwas abtransportieren. Meine Mutter hat in dem Hotel einen Schlüssel deponiert, falls ihr etwas passiert. Sie ahnte also etwas, und ich sollte ihn bekommen. Ich denke, in dem Haus ist etwas für mich. Das müsst ihr doch verstehen.«
Ich sah im Rückspiegel, wie Hazel David einen Blickzuwarf, während wir uns Horststätt näherten.
Ich sagte Hazel, wo er zum öffentlich zugänglichen Gutsgelände mit seinen Wohnhäusern abbiegen sollte. Der BMW ruckelte bergauf über das Kopfsteinpflaster, vorbei am Herrenhaus, an den Nebengebäuden und den Wohnhäusern. Wir folgten den Hausnummern und fuhren den Hügel auf der anderen Seite hinab in die Talsenke.
Wir hielten vor dem Haus »Hügelweg 12«. Es war das letzte Haus auf der linken Straßenseite und lag schon mitten in der Senke, in der sich die zwei schmalen Verbindungsstraßen in Horststätt trafen und weiter nach Barnitz und dann auf die Autobahn nach Hamburg und Lübeck führten. Hinter dem Grundstück begann auf der einen Seite ein dichter Buchenwald mit bis zu 150 Jahre altem Baumbestand, auf der anderen Seite grenzte es an den Gutsteich, der die Größe zweier Fußballfelder besaß. Gleich gegenüber begannen die Wiesen, auf denen vor vielen Jahren vom Frühsommer bis in den späten Herbst hinein hochbeinige Traberstuten mit ihren Fohlen geweidet hatten. Vielleicht weideten sie ja immer noch auf diesen Wiesen, doch wenn dem so war, dann hatte sie die nachtschwarze Dunkelheit verschluckt.
Wir stiegen aus. Die Luft war schwer von Feuchtigkeit und Wind und roch nach nasser Erde und verrottendem Laub. Irgendwo entfernt bellte ein Hund. Eine einsame Straßenlaterne
schimmerte durch die Nacht. Das nächste Haus lag etwa einen halben Kilometer entfernt hügelaufwärts.
Hazel holte seine Taschenlampe aus dem Kofferraum.
»Der Wagen?«, fragte ich und zog den Mantel gegen den schneidenden Wind enger um mich.
Hazel wies mit der Hand zur Hügelkuppe hinauf, wo er irgendwo jenseits der Kuppe stand oder auch nicht, denn seit der Abfahrt von der Autobahn hatten wir ihn nicht mehr bemerkt.
»Ich schau gleich mal nach«, sagte Hazel. »Sie beide warten dann hier.«
Er nahm mir den Schlüssel ab, betrat das Haus und schaltete die Außenbeleuchtung ein.
Haus und Vorgarten machten einen verlassenen Eindruck. Eine braunbelaubte Buchenhecke war ungeschnitten, und ihre dünnen Triebe schüttelte der Wind. Verwelkte Blumen waren ins Kraut geschossen oder lagen eingeknickt auf den Beeten.
Ich ging mit David um das Haus herum und schaute in die Garage, deren Tür unverschlossen war, wie ich verwundert feststellte. Ein alter VW-Golf stand darin, ein blaues Damenrad und eine Schubkarre. Verschiedenes Gartengerät hing an Haken säuberlich aufgereiht oder lehnte an den Wänden.
Wir gingen zurück nach vorn und ins Haus.
Im Korridor hatte Hazel das Licht eingeschaltet.
»Ich gehe hinten durch den Garten raus«, sagte er. David nickte.
Die Zimmertüren standen weit offen, wie ich es aus meiner Kindheit kannte. Meine Mutter hatte stets jede Tür geöffnet, bevor sie außer Haus ging. Das Haus muss atmen, hatte sie immer gesagt.
David betrat einen Raum nach dem anderen und knipste auch dort das Licht an.
Ich stand im Korridor. Ich
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