Im Zeichen der Angst Roman
wieder.
»Da drüben sind Hazel und David«, sagte ich zu Josey und zeigte auf die beiden. »Sie gehen auch Kuchen essen, okay? Ich bin bald wieder da.«
David winkte ihr zu, und sie winkte zurück und nickte eifrig.
Mankiewisc, Groß und ich setzten uns in das Zimmer, das ich für mich und Josey reserviert hatte. Die beiden saßen auf zwei unscheinbaren Hotelstühlen mit einem roten Sitzbezug am Fenster, ich im roten Sessel vor einem zierlichen Schreibtisch mit Kirschbaumfurnier. Vor jedem von uns stand eine Tasse Kaffee.
»Wo waren Sie gestern Abend?«, fragte Mankiewisc nach den üblichen Beileidsbekundungen.
Es war die falsche Eröffnung. Er konnte mich schon längst nicht mehr einschüchtern. Ich befand mich in einem eigenartigen Zustand der Konzentration, als hätte ich alle Probleme unten im Foyer des Hotels zugleich mit meinem Mantel abgelegt.
»Worum geht es diesmal?«
»Wie jedes Mal, wenn wir uns treffen«, sagte Mankiewisc barsch. »Um eine Leiche.«
»Und ich kenne sie?«
Sekunden vergingen. Jedenfalls glaubte ich das. Ich sah Mankiewisc an und wartete auf eine Antwort.
»Wo waren Sie gestern Abend?«, wiederholte er.
»Lassen Sie endlich diese Spiele«, sagte ich. »Sagen Sie mir, worum es geht, und ich sage, wo ich war.«
Mankiewisc lächelte. Es war kein freundliches Lächeln, und ich fragte mich einmal mehr, ob Zynismus Voraussetzung oder Folge dieses Berufes war.
»Wir haben eine Leiche«, sagte Groß und nippte an seinem Kaffee.
»Sie wiederholen sich«, erwiderte ich. »Und außerdem dürfte das in einer Großstadt wie Hamburg nicht ungewöhnlich sein.«
»Sie war eine Bekannte Ihrer Mutter.«
»Hat sie auch einen Namen?«
»Christine Metternich«, sagte er. »Sie hat sich erhängt.«
Ich schloss überrascht die Augen.
»Sie kennen sie«, sagte Mankiewisc mit Bestimmtheit.
»Flüchtig«, sagte ich. »Genau genommen habe ich nur ein Mal mit ihr gesprochen.« Meine Gedanken liefen in verschiedene Richtungen. Ich dachte an die Glock in meiner Tasche; ich dachte an meine Tochter bei Rena, David und Kai, ich dachte daran, dass die Frau am Abend zuvor zwar angetrunken, aber noch sehr lebendig und vor allem auch sehr wütend gewesen war. Bringt sich jemand um, der wütend ist?
»Ein Abschiedsbrief?«, fragte ich im verknappten Stil eines Interviews.
»Fehlanzeige«, sagte Mankiewisc und beobachtete mich. Ich nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse. Meine Hände waren so ruhig, wie mein Verstand klar war. Meine Augen erwiderten seinen Blick. Hinter meinen Augen arbeitete mein Verstand auf Hochtouren. Hazel hatte an dem Abend einen Geländewagen gesehen, der uns seit Hamburg verfolgt hatte. Danach war er verschwunden gewesen, doch das hieß nichts.
»Wurde sie bedroht?«, fragte ich.
Mankiewisc zuckte die Achseln. »Wissen wir nicht. Also, wo waren Sie?«
»Bei Christine Metternich«, erwiderte ich. »Das ist Ihnen doch längst bekannt, sonst wären Sie nicht hier. Mit David Plotzer und Hazel Schweiger übrigens. Es dürfte Ihnen also schwerfallen, mich damit in Verbindung zu bringen, zumal ich sie nie zuvor gesehen habe.«
»Sind Sie diesmal sicher oder wieder nur ziemlich sicher?«
»Absolut sicher«, erwiderte ich schnippisch. Ich sagte doch, der Mann vergaß nie etwas und war immer für eine Retourkutsche gut.
»Sie war die Stiefschwester Ihres Therapeuten.«
»Na, hallo«, sagte ich. »Sie sind aber diesmal schnell.«
»Haben Sie sie unter Druck gesetzt?«, fragte er weiter.
»Womit denn?«, fragte ich.
»Das will ich von Ihnen wissen.«
»Und Sie meinen, ich würde es Ihnen sagen, wenn es so wäre, wie Sie vermuten.«
»Ich mag Sie nicht«, sagte er. »Ich finde Frauen wie Sie einfach nur zum Kotzen.«
»Was für ein Outing«, sagte ich. Wenn man sich auf Mankiewisc einließ, begab man sich zwangsläufig auf vermintes Gelände, und es war nur eine Frage der Zeit, wann eine Mine hochging.
Wir starrten uns an.
»Das bringt doch nichts«, sagte Groß und trommelte einen schnellen Rhythmus auf den Tisch. »Wir sind alle überreizt, und wir sind hier auf einer Beerdigung. Christine galt als depressiv und war Alkoholikerin.«
Mankiewisc und ich wandten den Blick voneinander ab.
»Können wir das Kriegsbeil vielleicht begraben?«, fragte Groß.
»Können Sie mich nicht endlich von der Liste der Verdächtigen streichen und mich so behandeln, als wäre ich ein ganz normales Mitglied der Gesellschaft?«
»Sie sind kein normales Mitglied der Gesellschaft: Sie
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