Im Zeichen der Angst Roman
unter dem Foto stand: »Sie haben die Polizei eingeschaltet. Das war ein Fehler. Wir melden uns.«
Eine Katastrophe zu erwarten, war eine Sache, und solange sie sich verbarg, glaubte man wider besseres Wissen und gegen jede Erfahrung, dass man dem Schicksal ein Schnippchen schlagen konnte oder dass es einen vergaß und sich wie von selbst alles zum Guten wendete. Doch das waren Träume, und als ich das begriff, brach unter mir das Eis weg, das mich nach meiner Haftentlassung durch mein Leben getragen hatte, und ich schrie so gellend, als könnte mein Schrei die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen.
David drückte den Notruf knopf, doch das musste er nicht. Mein Schrei war bis ans Ende der Welt zu hören, und ich wünschte nichts sehnlicher, als genau dort zu sein. Weit weg, raus aus diesem Leben, raus aus der Verantwortung, aus meinen Schuldgefühlen - raus aus dem Schmerz.
Das Grauen, das mich beim Anblick meiner toten Tochter Johanna überkommen hatte, dieses Ur-Grauen kehrte zurück, und mein Schrei war nichts anderes als der martialische Abgesang auf alles, an das ich mich nach Joseys Geburt noch einmal geklammert hatte: an das Vertrauen auf das Leben, auf seine Schönheit, seine Großzügigkeit und vor allem an das Vertrauen in meine Kraft, in meine Vernunft und in meine Liebe zu meiner Tochter.
Hier lag ich, den Entscheidungen fremder Menschen ausgeliefert, in deren Händen meine Tochter war und die den Daumen heben oder senken konnten.
Sie hatten Josey entführt, unter den Augen der Polizei, im Beisein von David, Hazel, Kai, in Anwesenheit von einem Dutzend Trauergästen und Hotelangestellten.
Die Tür öffnete sich, und ein Arzt in weißem, offenem Kittel kam hereingerannt, eine aufgezogene Spritze in der Hand.
Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, doch ich stieß David vom Bett, sprang dem Arzt entgegen und schlug ihm die Spritze aus der Hand.
»Ich brauche keine Spritze! Ich brauche meine Tochter!«, schrie ich und brach weinend auf dem Boden zusammen.
»Kommen Sie«, sagte der Arzt und beugte sich zu mir.
Er trug ein Schild am Kittel. Dr. Berg, las ich durch die Tränen, als er mir auf half.
»Draußen wartet ein Kriminalbeamter und will Sie sprechen«, sagte er. »Es wäre besser, wenn Sie die Spritze akzeptieren.«
»Sie haben versprochen, sie erst mal in Ruhe zu lassen«, sagte David.
Dr. Berg zuckte die Achseln.
»Ich habe keinen Einfluss darauf. Sie ist körperlich okay, und es ist wichtig.«
»Ich will keine Spritze«, sagte ich.
Ohne jede Herzlichkeit lächelte er mir zu. »Meinen Sie, Sie kriegen das hin?«
Ich setzte mich auf die Bettkante und nickte. Es kam nicht mehr darauf an, was ich wollte. Die Tränen strömten aus meinen Augen, und nichts schien sie aufhalten zu können.
David reichte mir ein paar Kleenex-Tücher, die er aus einem Halter neben meinem Bett gezogen hatte. Meine Tochter, meine wundervolle, schöne Tochter. Oh, Gott, dachte ich. Lass sie leben. Bitte, lass sie leben. Ich gebe dir alles, was du willst.
»Wenn sie sich wieder aufregt, klingeln Sie«, sagte der Arzt zu David, als sei ich nicht vorhanden, und verließ eilig das Zimmer.
»Wie spät ist es?«, fragte ich.
»Was für ein Idiot«, sagte David, setzte sich zu mir aufs Bett und sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Kurz nach fünf.«
»Genauer«, sagte ich. »Sag es mir genau.«
»Zwölf nach fünf.«
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und schaute auf meine Beine, die unter einem hellblauen Krankenhausnachthemd hervorkamen. Ich kam mir nackt und schutzlos vor. Ich rutschte ans Kopfteil des Bettes, zog die Decke über die Beine und fühlte mich nicht mehr ganz so entblößt und verwundbar.
Mankiewisc sah betreten drein, als er hereinkam.
»Es tut mir leid«, sagte er und kratzte sich am Kopf, »das mit Ihrer Tochter.« Seine Augenbrauen zuckten kurz hoch, und man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, die Entführung meiner Tochter zu akzeptieren.
»Wann ist es passiert?«, fragte ich.
»Gegen drei.«
»Wann genau?«, stieß ich hervor. Die Worte durchbrachen die Luft wie Gewehrkugeln.
»Clara«, sagte David besänftigend.
»Das letzte Mal wurde sie kurz nach drei gesehen. Genauer wissen wir es nicht. Zwischen fünf und fünfzehn nach.«
»Weshalb weiß es niemand genauer?« Meine Stimme klang selbst in meinen Ohren zu schrill und zu laut, und ich weinte schon wieder. »Da verschwindet ein Kind, und keiner weiß, wann er es zum letzten Mal gesehen hat. Es muss doch
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