Im Zeichen der gruenen Sonne
Länder mit Grenzen gab, Herrscher, die sie regierten, und Völker, die sie bewohnten, als die Wüsten noch Wiesen und die Wälder undurchdringlich und geheimnisvoll waren, gab es eine Insel im Meer, an deren Namen sich heute keiner mehr erinnert.
Die Bewohner dieser Insel waren friedlich und zahlreich, und sie kannten keine Not, denn ihre Felder und das Meer gaben ihnen Nahrung im Überfluss. Sie nannten sich: »Die Glücklichen unter der Sonne«, und diesen Namen trugen sie zu Recht.
Auf dieser Insel lebte ein Junge, der Kah-ya genannt wurde. In einer sternenklaren Nacht hatte der Häuptling ihn am Strand gefunden und ins Dorf gebracht, wo er in der Gemeinschaft heranwuchs. Niemand wusste, woher er kam, der einzige Hinweis war eine Tätowierung in seiner rechten Handfläche, die eine grüne Sonne zeigte. Nach diesem Bild gaben sie ihm den Namen Kah-ya, der in ihrer Sprache »Sonnenkind« bedeutete.
Eines Tages verhüllte die Sonne ihr Antlitz, schwarze Wolken türmten sich hoch auf, der Wind peitschte die Wellen, und ein Sturm fegte wütend über das Land. Wo der Blitz einschlug, brannte die Erde, und der Orkan riss ganze Bäume aus dem Boden und wirbelte sie durch die Luft. Wellen, so hoch wie Berge, krachten auf die Küste und überspülten die Dörfer. Die Erde bebte unter der Sintflut. Die Menschen suchten Zuflucht in den Wäldern, aber der Sturm fand sie, wo auch immer sie sich versteckten. Die Flüsse traten über die Ufer, um das Vieh zu ertränken, und bald waren Wälder, Wiesen, Dörfer und Felder zerstört und von der Oberfläche der Erde getilgt.
Und als der Sturm gegangen war, blieb das Unglück der Insel treu; die Erwachsenen ließen die Jüngeren in den sicheren Höhlen und gingen hinunter zum Meer, um zu sehen, welchen Schaden der Sturm über das Dorf gebracht hatte. Doch kaum waren sie am Strand, da grollte und bebte die Erde so heftig, dass kaum einer sich auf den Beinen halten konnte.
Das Beben löste im Meer eine große Flutwelle aus, die in unvorstellbarer Geschwindigkeit auf den Strand zurollte, sich turmhoch aufbaute und mit Donnern und Krachen an der Küste einstürzte, um alles mit sich zu reißen, dessen sie habhaft werden konnte. Als die Erwachsenen sie kommen sahen, war es schon zu spät – nicht einer konnte ihr entgehen, alle wurden mit in die gurgelnde, schäumende See gerissen, um den kalten Tod auf dem Meeresgrund zu sterben. Als am Abend die Sonne in der schäumenden See unterging, waren die Kinder die letzten Bewohner der Insel.
In der Nacht waren die Kinder sehr verzweifelt. Die Älteren unter ihnen versuchten, die Kleinen zu beruhigen, doch diese weinten und schrien nach Nahrung und nach ihren Eltern. Aber es gab nichts mehr zu essen auf der Insel, und ohne die Erfahrung und das Wissen der Erwachsenen war es nur eine Frage von Tagen, bis auch der letzte Funke Leben auf der Insel verlöschen würde. Sie beschlossen, dass einer der ihren sich auf den Weg machen sollte, um Hilfe zu finden. Sie alle fürchteten diese Aufgabe, denn sie hatten ihr Dorf noch nie verlassen, und niemand konnte ahnen, was für Gefahren den Wanderer erwarteten.
Die Wahl fiel auf Kah-ya, denn er war der Älteste. Die Kinder schmückten Kah-ya mit den Zeichen des Häuptlings, einem goldenen Stirnreif und einer schweren, edelsteinbesetzten Kupferplatte, die sie ihm um den Hals hängten.
»Entweder ich kehre mit Rettung zurück – oder gar nicht!«, sprach Kah-ya, drehte sich um und verließ ohne einen Blick zurück das Dorf. Er wollte sich nicht umdrehen, er wollte nicht, dass die anderen seine Tränen sahen.
Kah-ya lief den Strand entlang, denn er fürchtete, sich im Wald zu verlaufen. Die Küste war völlig zerstört, überall lagen umgestürzte Bäume, die der Wind wie dürre Äste durch die Luft gewirbelt hatte. Das Meer war vom Sturm aufgewühlt, und in der einsetzenden Dämmerung schien es Kah-ya, als greife es brüllend und fauchend mit großen schwarzen Händen nach ihm.
Als es zu dunkel wurde zum Laufen, entzündete Kah-ya ein Feuer. Müde und verzweifelt starrte er in die Flammen, er wusste, dass er die letzte Hoffnung seiner Freunde war, und diese Last drückte ihn schwer. Das Feuer warf tanzende Schatten, und immer wieder hatte er das Gefühl, er sei nicht alleine am Strand. Kah-ya hatte große Angst – jedes gefährliche Tier der Insel war jetzt auf der Suche nach Beute und würde jeden Menschen angreifen. Auch die Tiere kämpften um ihr Überleben.
Das Einzige, was Kah-ya
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