Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Herzen. Es ist eine Art, Macht über jemanden zu gewinnen oder Rache zu üben.“
„Wissen die Lebenden, dass ihnen ein Teil fehlt?“
„Manchmal hören sie die Stimme des Toten, aber normalerweise fühlen sie sich nur anders, unvollständig. Die Symptome unterscheiden sich, je nachdem, welcher Teil ihnen gestohlen wurde.“
„Und so müssen sie für immer leben?“
„Bis der tote Seelendieb loslässt. Manchmal tut er es von selbst, oder ein Krähenmensch überzeugt ihn, das Stück zurückzugeben.“
Rhia, die in Asermos aufgewachsen war, hatte dort keine Krähen gekannt, und es schien, als würde sie jeden Tag etwas Neues über ihre Pflichten und Gaben lernen. „Wessen Seelen tragen die kalindonischen Ältesten mit sich?“
„Wahrscheinlich die der Soldaten, die sie ermordet haben. Jeder dieser Männer dürfte jetzt wach liegen und die Stimmen jener hören, die er ermordet hat.“
„Gut.“ Rhia biss sich auf die Unterlippe und versuchte, den Funken der Verbitterung in sich auszulöschen. „Nicht für die Kalindonier, natürlich. Können die Soldaten ihnen antworten?“
„Nein. Nur Krähen in der zweiten und dritten Phase können mit den Toten sprechen, und selbst dann nur mithilfe von Thanapras.“
„Aber ich habe ohne Thanapras mit Nilo gesprochen, nachdem er gestorben war.“
„Er war dein Bruder. Manchmal sind unsere Angehörigen auf eine Art mit uns verbunden, auf die andere es nicht sind.“ Sie nahm Rhias Hand – eine überschwängliche Geste für die reservierte alte Frau. „Ich spreche mit den Ältesten und bitte sie, loszulassen und überzutreten. Aber nicht heute Nacht. Nach der Schlacht, der Reise und den Beerdigungen habe ich keine Kraft mehr in mir.“
„Ich weiß, dass du müde bist.“ Rhia drückte CorannasFinger, die sich zu kalt für das warme Wetter anfühlten. „Deshalb will ich helfen.“
„Ein Seelenteil zurückzuholen ist anstrengend, sogar gefährlich. Außerdem ist das Thanapras gefährlich für dein Kind. Du kannst mir helfen, wenn das Kind entwöhnt ist, falls, und mögen die Geister es verhüten, die Ältesten dann nicht schon übergetreten sind.“
Rhia ließ die Schultern hängen. „Ich hasse es, mich nutzlos zu fühlen.“
„Du hast noch viele Jahre, um die Gaben deiner zweiten Phase zu erlernen.“ Coranna stieß einen Seufzer aus, der wie ein Stöhnen klang. „Ich wünschte, du wärst nicht in Zeiten wie diesen aufgestiegen. Für einen so jungen Menschen ist es schlecht, so viel zu wissen.“
„Zu spät. Was mache ich jetzt damit?“
„Behalt es für dich.“
Rhia glaubte sich verhört zu haben. „Wir können den Hinterbliebenen nicht sagen, dass ihre Angehörigen keine Ruhe finden?“
„Es würde sie nur beunruhigen“, sagte Coranna. „Denk daran, deine erste Tugend ist Mitgefühl.“
„Was ist mit der Wahrheit?“
„Wahrheit bringt Leid. Es ist unsere Pflicht, Frieden zu bringen.“
„Ja, den Toten.“
„Und den Lebenden.“
Rhia wollte widersprechen, aber sie konnte nicht leugnen, dass weiteres Leid das Letzte war, was die überlebenden Kalindonier brauchten.
„Versuch zu schlafen.“ Coranna drückte Rhias Knie. „Morgen zeige ich dir einige Meditationen, um die Stimmen zu beruhigen.“
Einige Minuten später sank Rhia zurück in ihr Bett. Marek drehte sich um und schlang seine Arme um sie. Sie schmiegte sich an ihn und hoffte, doch noch einschlafen zu können.
Als ihre Atemzüge ruhiger und tiefer wurden, verstummteder Choral der toten Kalindonier. Schlaf legte sich wie ein Nebel über sie.
„Bequem?“, hörte sie eine tiefe Stimme fragen.
Rhia riss die Augen auf. Sie musste geträumt haben.
„Sieh sich einer die kleine Krähe an, wie bequem sie in den Armen meines Mörders liegt.“
Erschrocken zuckte sie zusammen und weckte damit Marek.
Er war sofort hellwach. „Was ist los?“
Skaris der Bär, der Mann, den Marek umgebracht hatte, um einen Mordversuch an Rhia zu rächen, war in ihrem Kopf.
„Nichts“, flüsterte sie. „Nur ein Krampf im Fuß.“
„Soll ich ihn massieren?“
„Es ist schon wieder besser. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“
Marek küsste sie auf die Schläfe und strich ihr übers Haar, bis er wieder einschlief und seine Hand an ihrem Kopf erschlaffte.
Sie wartete darauf, dass ihr alter Feind wieder sprach. Seine Stimme war nicht verzerrt und gedehnt gewesen wie die der kalindonischen Ältesten. Sie war so deutlich und klar wie der Ruf der Nachtigall.
Hatte er ein Stück
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