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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Innes und ich haben unsere Kojen nebenan, Jack ist allein. Er schleppt diesen kompakten Koffer mit sich herum, den Edison ihm gegeben hat, als wir sein Gelände verließen; noch hat er uns seinen Inhalt nicht offenbart. Und dann ist da noch Pepperman, der arme Galgenstrick mit seinen Telegrammen und Zeitungsausschnitten, der immer noch glaubt, er reise mit den Brüdern Doyle allein, jederzeit bereit, sich in gekränktem, betretenem Ernst zurückzuziehen – was diesem gigantischen Menschen überhaupt nicht steht –, wann immer ich den Wunsch nach Ungestörtheit zum Ausdruck bringe, was auf dieser Reise oft der Fall sein wird. Der Himmel möge verhüten, daß der Major Wind von unserer eigentlichen Mission bekommt; die Aufregung könnte ihn auf der Stelle in Flammen aufgehen lassen.
     
    UNTERWEGS IM ›EXPOSITION FLYER‹ Vor der Ankunft in Albany trennte der Zug sich vom Hudson und stieß kraftvoll nach Westen vor; der Erie Canal übernahm die Rolle des unerschütterlichen Gefährten. Buf-falo, New York, kam und ging kurz nach dem Abendessen: Bluttriefende Steaks und riesige Berge von Stampfkartoffeln in der Gesellschaft Peppermans, der den vergeblichen Versuch unternahm, den Geist des großen Abenteuers auf dieser Reise heraufzubeschwören – »Sehen Sie sich das an: der Ontario-See, einer unserer Fünf Großen Seen – ich wette, Sie haben noch nie einen so großen See gesehen!« – und so weiter, aber wiederum sah der Mann sich Doyles höflichen, lauwarmen Reaktionen ratlos und ein bißchen entgeistert ausgeliefert.
    Gelegentlich gingen Blicke zwischen Doyle und seinen Gefährten an den benachbarten Speisetischen hin und her -Stern und Presto saßen zusammen, Jack allein. Der Major nahm keine Notiz davon, sondern tröstete sich mit einer Extraportion ›Strawberry Shortcake‹, einem Gericht, das den Doyles neu war und sie zu ihrem bisher größten Begeisterungsausbruch auf dieser Reise veranlaßte, woraufhin Peppermans Hoffnungen auf eine verbesserte Kameraderie neuen Aufschwung bekamen, doch nur, um gleich wieder zu zerschellen, als die Brüder seine Einladung, auf ein paar Runden Whist in sein Abteil zu kommen, ablehnten.
    Doyle hatte beschlossen, den Umstand, daß sie im Zug eingesperrt waren, zu nutzen und die Mauer des Schweigens, welche die verlorenen zehn Jahre im Leben von Jack Sparks umgab, zu belagern. Bevor er sich weiter in die Gefahr hineinwagte, empfand Doyle die zwingende Verantwortung, das Geheimnis des Mannes, der sie dorthin geführt hatte, zu lösen. Frühere Versuche, die auf ehrlicher, aufrechter Sorge gegründet waren, hatten kein Ergebnis gebracht; nun war es an der Zeit, es mit List zu versuchen.
    Doyle stibitzte eine Flasche Brandy aus der Bar und fand Jack allein in seinem Schlafwagenabteil vor, wo er im Licht einer flackernden Gaslampe las. Sofort verbarg Jack den Titel des Buches – eine völlig unschuldige wissenschaftliche Abhandlung über die Grundlagen der konduktiven Elektrizität –, aber die Geheimniskrämerei war ihm inzwischen so sehr zur zweiten Natur geworden, daß das Bändchen unter dem Sitz verschwand und auf Edisons mysteriösem Koffer landete.
    Doyle ließ sich feierlich Sparks gegenüber nieder. Jack wies sowohl den Brandy als auch die angebotene Zigarre zurück; er hob die Hand, drehte das Gas herunter und tauchte seine Hälfte des Abteils in ein flackerndes Zwielicht, um Doyle dann mit halbgeschlossenen Augen scharf zu beobachten. Doyle sagte nichts und nahm scheinbar keinerlei Notiz von Jacks prüfendem Blick; er zündete seine Havanna an, nippte genüßlich an seinem Brandy und heuchelte ein hohes Maß an selbstvergessener Zufriedenheit.
    Jack durchbohrte ihn mit seinem Blick.
    Mir recht; wenn alle Stricke reißen – im Warten bin ich dir über, dachte Doyle; ich habe fünf Jahre medizinische Vorlesungen überstanden, und ich kann hier sitzen, bis einer von uns verrottet ist.
    Jack wurde es unbehaglich unter Doyles mildem, desinteressiertem Blick. Ein kurzes Rutschen, ein rastloser Finger seiner verstümmelten Hand, der auf seinem Knie trommelte. Minuten verstrichen. Doyle blies den Rauch von sich, lächelte abwesend, spähte versonnen in die Dunkelheit draußen hinter dem Rouleau.
    »Hmm«, sagte er, bevor er es ganz herunterzog.
    Er warf einen Blick auf sein Gegenüber und lächelte wieder. Jack verlagerte erneut sein Gewicht.
    Doyle fuhr mit der Hand über den Mohair-Bezug und beugte sich vor, um die Nähte zu inspizieren.
    »Hmm«, sagte er.
    Jack

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