Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
Vom Netzwerk:
Perverser!
    Während er auf den Aufzug wartete, ließ der Major den Zottelkopf sinken und schlug ihn verdrossen an die Wand. Er hatte diese Tournee mit seinem eigenen Geld finanziert, und solange er noch keinerlei Ertrag zu verbuchen hatte, würde er alles in seiner Macht Stehende tun müssen, um seinen Einsatz zu sichern; niemand durfte von Doyles abscheulichen Gewohnheiten erfahren, wie immer sie aussehen mochten. Für einen berühmten Autor Reklame zu machen – für einen englischen noch dazu, der doch vor Achtbarkeit geradezu stank –, war ihm seinerzeit als eine so sichere Investition erschienen. Wieso bloß war er nicht beim Zirkus geblieben?
    Doyle legte die Frau auf ein Sofa und ließ die Männer zum ersten Mal einen richtigen Blick auf sie werfen. Sie war etwa dreißig Jahre alt, hatte dunkle Haut und dunkles Haar, kräftige Knochen und Gesichtszüge, die keineswegs schön waren, aber fesselnd und wohlgeformt, ein Gesicht, aus Spannkraft und Tapferkeit gemeißelt.
    »Eine Indianerin«, stellte Jack fest. Er und Presto starrten sie an, und in ihrem Blick so lag etwas wie ein geheimnisvolles Wiedererkennen.
    »Kennen Sie diese Frau?« fragte Doyle, dem das nicht entgangen war.
    Jack schüttelte unsicher den Kopf.
    »Wie soll das möglich sein?« entgegnete Presto. »Wenn sie nicht schon in London war – und wie wahrscheinlich wäre das? Und doch, irgendwie kommt sie mir trotzdem bekannt vor.«
    Doyle zerbrach eine Ampulle mit Riechsalz und hielt sie ihr unter die Nase; sie drehte ruckartig den Kopf zur Seite, und ihre Augen öffneten sich flatternd. Erschrocken fuhr sie auf, als sie die fünf Männer sah, die auf sie herabschauten. Doyle beschwichtigte sie in aller Ruhe und stellte die anderen vor; er erzählte, wie sie sie auf der Straße gefunden hatten und wo sie jetzt war, und beschrieb ihr dann, welche Nachwirkungen sie zu erwarten habe, nachdem sie dieser Droge ausgesetzt war. Sie hörte ihm aufmerksam zu und gewann ihre enorme Gefaßtheit wieder, während sie bemüht war, die Lücken in ihrer Erinnerung zu schließen: Das leere blaue Auge des Angreifers nahm wieder Gestalt an und starrte durch sie hindurch, leblos wie eine Murmel.
    Sie sprach wenig, trank etwas Wasser und merkte verwundert, daß sie nicht den Impuls verspürte, Reißaus zu nehmen, aber von diesen Männern ging keine Gefahr aus. Im Gegenteil: Inzwischen waren ihr auch Jack und Presto aufgefallen, und sie erwiderte ihre fragenden Blicke mit der gleichen Neugier.
    »Wie heißen Sie, Miß?« fragte Doyle.
    Sie sah ihm ins Gesicht, bevor sie antwortete. »Mein Name ist Mary Williams.«
    »Sind wir uns schon einmal begegnet, Miß Williams?« fragte Presto.
    Der dunkle Mann spürte es, und dieser Mann mit der weißen Narbe da spürte es auch. Seine Augen schauten sie suchend an.
    »Nein.«
    »Aber es hat trotzdem den Anschein?« fragte Presto.
     
    Sie drei, irgendwie miteinander verbunden. Wußten sie, daß es der Traum war?
    »Ja«, sagte sie.
    »Und was, vermuten Sie, ist der Grund dafür?«
    Sie kannte die Antwort, aber noch widerstrebte es ihr, sie auszusprechen.
    »Woher kommen Sie, Miß Williams?« fragte Doyle.
    Sie erzählte es ihnen.
    »Dann sind Sie Indianerin.«
    »Ja. Lakota.«
    »Wirklich?« Innes strahlte. »Bemerkenswert.«
    Doyle winkte ab, und Innes wich zurück.
    »Haben Sie den Mann, der Sie überfallen hat, schon einmal gesehen?« fragte Doyle.
    »Er folgt mir, seit ich in Chicago bin.«
    »Wissen Sie, wie er heißt?«
    »Nein. Ich weiß nichts über ihn.«
    »Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?« wollte Doyle wissen.
    »Er hatte mir nichts getan.«
    »Trotzdem hätte sie Ihnen vielleicht helfen können –«
    »Ich kann mich selbst beschützen.«
    Die naheliegende Antwort darauf hing in der Luft, und sie entgegnete ihr gleich. »Heute abend habe ich einen Fehler gemacht; ich war in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt. Es war der einzige Augenblick, wo er mir je etwas hat anhaben können.«
    »Er hat auch nur einen gebraucht«, bemerkte Jack.
    »Wenn er noch einmal kommt, werde ich ihn töten.« Ihr Ton ließ keinen Anlaß zu Zweifeln.
    »Trotzdem haben Sie großes Glück, daß Sie noch leben, Miß Williams«, sagte Presto. Er zeigte ihr, was in der Reisetasche war, die er in dem Lagerhaus gefunden hatte. Sie starrte die Folterwerkzeuge an, ohne eine Reaktion zu zeigen. Was sie da sah, überraschte sie nicht – nichts an diesem Alptraum mit den toten blauen Augen hätte sie überrascht –, aber sie mußte

Weitere Kostenlose Bücher