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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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violette Bänder, die das Nahen der Vision ankündigten.
    Sein Kopf dröhnte wie eine Trommel, und das Blut strömte ihm aus der Nase. Leise stöhnend wankte der Reverend in die Mitte des Sterns. Seine Hände fühlten sich leicht an, und ein Kribbeln durchlief seine Arme und Beine. Grauen und Staunen erfüllten sein Inneres, als die Vision näher kam. Sein Blick irrte in die Ecke des Raumes, wo der Schacht hinunterführte, der verlassene Minenschacht, der ihn hier erwartet hatte, wie die Vision es angekündigt hatte: schwarz, hohl, bodenlos. Ein Windstoß aus der Tiefe fuhr ihm durchs Haar, und die Leere verhieß ihm die Erfüllung von tausend seiner finstersten Träume.
    Die Augen des Reverend verdrehten sich in ihren Höhlen, als die Vision sich seiner Muskeln bemächtigte und ihn zu Boden warf, unkontrolliert ins Leere tretend, mit geballten Fäusten, unter krampfhaften Zuckungen und mit um sich schlagenden Armen. Sein Kopf flog hin und her, und sein Körper bäumte sich am Boden auf; Speichel schäumte auf seinen Lippen, und wilde, erbarmungswürdige Tierschreie schnürten ihm die Kehle zu.
    Doch sein Geist blieb klar. Eine Explosion in seinem Innern.
    Das Licht aus der Tiefe umfing ihn.
    Und in der strahlenden Umarmung, noch im Griff seiner schrecklichen Ekstase, hörte er, wie es aus dem Schacht heraufgrollte, das Wispern des Tieres.

BUCH VIER
 
The New City

13
     
    29. SEPTEMBER 1894
    Als die Sonne unterging, überquerte unser Zug den Mississippi bei St. Louis. Am Mittag sind wir in Chicago weggefahren; wenn wir den Anschlußzug ohne Verspätung erreichen, wird die Reise nach Flagstaff, Arizona, vierundzwanzig Stunden dauern. Auf dem Bahnhof dort wird uns ein Charterzug erwarten, der uns nach Prescott befördern soll, welches nach unserer Karte weniger als sechzig Meilen weit von The New City entfernt ist. Wie lange die Fahrt dorthin dauern wird, hängt von Faktoren ab, die wir noch nicht absehen können: Terrain, Wetter, Straßenzustand. Es mag genügen zu sagen, daß wir uns so schnell wie menschenmöglich vorwärtsbewegen werden, und dann werden wir sehen, was wir sehen. Nicht ganz der Luxusausflug in den Westen, an den Teddy Roosevelt gedacht hatte.
    Presto hat sich großzügig bereitgefunden, die notwendigen Finanzmittel aus seinen anscheinend unerschöpflichen Reserven zur Verfügung zu stellen; er hat an Bord des Zuges drei private Schlafabteile für uns sechs reserviert. Wir müssen alle versuchen, uns auf dieser Etappe auszuruhen; so schwierig das auch zu sein scheint, es ist doch vielleicht die letzte gute Gelegenheit, die wir bekommen werden.
    Die andern sind vorn im Speisewagen. JS sitzt allein in seinem Abteil neben dem meinen. Seit er mir kürzlich im Zug gebeichtet hat, versinkt er immer tiefer in stummes Brüten und Melancholie. Ich wünschte, ich könnte sagen, er bereitet sich auf Ereignisse vor, deren Nahen er spürt; aber ich neige eher zu der Annahme, daß es sich bei dem, was wir hier miterleben, um den langsamen Erstickungstod einer Persönlichkeit handelt. Nicht einmal die Erkenntnis, daß sein Bruder noch lebt, hat die alte Zielstrebigkeit in ihm wiederherstellen können; es ist ein schwarzes, einsames Licht, das in Jacks Augen brennt. Und nach allem, ivas der Mann durchgemacht hat, weiß ich nicht, ob eine Menschenseele noch mehr ertragen kann.
     
    Diese drei, mit denen wir unterwegs sind – Jack, Presto, die Indianerin Mary Williams und der abwesende Jacob Stern – haben durch den gemeinsamen Traum eine Verantwortung auferlegt bekommen, die sie nicht fassen können, und eine, die Innes und ich aus gleich welchen Gründen nicht explizit mit ihnen teilen. Aber jeder von uns hat seine Rolle zu spielen, und wenn die meine darin besteht, der Detektiv zu sein, der ihre wahre Aufgabe herausfindet, dann ist das mehr als genug. Ich habe allerdings den Verdacht, daß es ein wertvollerer Beitrag wäre, Jack wenigstens zu einem gewissen Grad wieder zu sich selbst zurückzubringen, bevor die letzte Konfrontation stattfindet. Ohne Jack an der Spitze kann dieses Spiel, und was immer diesen Leuten noch bevorsteht, nur in der Katastrophe enden. Unsere Zeit ist knapp; ich weiß nur noch eine Karte, die ich ausspielen kann.
    Heute nacht.
    Der schwarze Turm kam in Sicht, als die Wagen um die letzte Felsengruppe kamen und in die Siedlung einbogen; Gestalten wimmelten wie Ameisen um das Gerüst herum, das das zentrale Gebäude umgab, den Turm, der sich mehr als sechzig Meter hoch über den

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