Im Zeichen der Sechs
hinunter; Fackeln in Wandhaltern erhellten das rauchvernebelte Innere. Arbeiter verlegten Schieferplatten auf einem Teil des Bodens, andere meißelten an Torbögen und Portalen, und wieder andere schmierten Mörtel in die Ritzen zwischen den Steinblöcken. Kanazuchi schob seine Karre in den zentralen Raum der Kirche. In dem trüben Licht konnte er die oberen Bereiche der Wände, die ihn hier überragten, nicht erkennen. Aber er spürte das kalte, schwarze Gefühl des Grauens, das diesen Raum erfüllte.
Er erinnerte sich an Zeichnungen von europäischen Kathedralen, die der Priester im Kloster ihm gezeigt hatte, und er dachte, daß sie Ähnlichkeit mit diesem Bauwerk haben müßten: kalt und bedrohlich, dazu erbaut, die Gläubigen zu ängstigen und einzuschüchtern. Die Bethäuser seiner Heimat waren einladende Gebäude, errichtet im Einklang mit dem Land, das sie umgab, geschaffen, um Harmonie und inneren Frieden hervorzurufen. Und wieder fragte er sich, was für ein Gott das war, dem sie in den Ländern des Westens folgten, der es so dringend nötig hatte, daß man sich vor ihm fürchtete.
In der Vision war Kanazuchi eine Kammer gezeigt worden, die unter der Haupthalle des Turms verborgen lag, ein Raum, in dem er die Chinesen hatte arbeiten sehen. Vielleicht lag dieser Raum irgendwo unter der Stelle, wo er jetzt stand; der Schutt hinter der Kirche konnte durchaus von einer derartigen Ausschachtung stammen. Wenn der Raum existierte, brauchte er Zeit, um den Zugang zu suchen.
Eine Reihe rechteckiger Aussparungen in den Wänden zu beiden Seiten der Halle wartete auf Fensterglas, aber eine Öffnung war bereits mit buntem Glas ausgefüllt: ein rundes Fenster unmittelbar über der hinteren Tür, erhellt von einem Mondstrahl, der das Bild im Glas auf den schwarzen Steinboden projizierte.
Ein makelloser roter Lichtkreis, durchbohrt von drei gezackten Blitzen.
Er sah, daß der Boden sanft in einer konkaven Mulde zur Mitte hin abfiel, und der rot leuchtende Kreis fiel genau ins Zentrum. Als er niederkniete, um genauer hinzuschauen, sah er, daß überall im Raum schmale Schlitze in den Stein gemeißelt waren, die an der tiefsten Stelle dieses sanften Beckens zu einem Netzwerk von miteinander verbundenen Gittern hinunterführten. Ein kühler Wind wehte durch das Gitterwerk von unten herauf.
Gerade wollte Kanazuchi die Gitter untersuchen, da begannen im Turm über ihm die Glocken zu läuten, und ein ohrenbetäubendes Getöse erfüllte das Gebäude. Mit den ersten Schlägen unterbrachen die Arbeiter ringsumher ihre jeweilige Tätigkeit, legten ihr Werkzeug aus der Hand und gingen in den vorderen Teil der Kathedrale. Kanazuchi folgte ihnen. Er mischte sich unter sie, als sie hintereinander durch die offene Tür hinausgingen und versteckte sich in ihrer Mitte; es waren etwa hundert Mann, die sich schweigend vor dem Eingang versammelten. Er verströmte seine Sinne unter ihnen, und eine Erkenntnis durchzuckte ihn: Hier war nur ein einziger Geist am Werk. Keine Gedanken, keine Geräusche, keine inneren Stimmen. Ein Geist, der alle diese Körper lenkte.
Schwarzgekleidete Vorarbeiter tauchten zu beiden Seiten auf, bewaffnet mit Gewehren. Kanazuchi schaute nach vorn und sah eine gleichgroße Gruppe von Weißhemden von Westen herankommen: die nächste Schicht. Mehr braune, schwarze und gelbe Gesichter als weiße – genauso wie bei der Gruppe, die ihn umgab.
Die beiden Kolonnen zogen aneinander vorbei und lächelten sich ausdruckslos zu. Die neue Schicht betrat die Kirche, und wiederum ertönten die Geräusche methodischer Arbeit. Kanazuchis Schicht marschierte eine halbe Meile weit nach Westen und spaltete sich dann in kleinere Gruppen auf, die sich auf drei niedrige Gebäude verteilten: die Arbeiterunterkünfte. Gehorsam folgte er unter den wachsamen Blicken der dort postierten Wachen der nächstbesten in die Schlafbaracke. Niemand achtete auf ihn.
Reihen von Etagenpritschen säumten die Innenwände: Unterkunft für vierzig, Männer wie Frauen. Erschöpfte Arbeiter fielen auf die erste Pritsche, die sie erreichten, und viele schliefen sofort ein.
Kanazuchi kletterte in eines der oberen Betten. Das Gebäude wurde von allen Seiten aufmerksam bewacht. Er hatte keine andere Möglichkeit, und mit der noch nicht ganz verheilten Wunde brauchte sein Körper jetzt Ruhe: Er würde ein Weilchen schlafen.
Reverend A. Glorious Day kam eine Stunde zu spät zum Dinner. In der Zwischenzeit hatten die Schauspieler, wie es bei ihnen Brauch
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