Im Zeichen der Sechs
bewegte sich. Der Junge starrte ihn desinteressiert an; sein Blick war stumpf und leblos. Dann wandte er sich ab und stapfte davon.
Kanazuchi hob einen Stein auf, glitt um die nächste Ecke und wartete. Ein paar Augenblicke später kamen zwei erwachsene Männer aus der Richtung, in der der Junge verschwunden war. Sie trugen Knüppel und Laternen und hielten Ausschau nach einem Eindringling. Kanazuchi warf seinen Stein weit in die entgegengesetzte Richtung; er landete klappernd auf einem Blechdach, und die Männer drehten sich um und liefen auf das Geräusch zu.
Bald hatte Kanazuchi den Rand der Siedlung erreicht. Offenes Gelände erstreckte sich eine Viertelmeile weit leicht ansteigend bis zum Bauplatz. In der Form eines großen, auf der Seite liegenden E gebaut, ragten die beiden Flügel der Kirche weiter vor als der mittlere Trakt, über dem sich der Turm aus seinem Traum erhob.
Spiralförmig aufstrebende Minarette schmückten die mit Spitzdächern besetzten Verzweigungen des Gebäudes; die Mauern waren überzogen von einer Unmenge unregelmäßiger Formen und Gebilde, die er aus dieser Entfernung nicht klar erkennen konnte. Steinmetze standen auf den Gerüsten, die die Gebäudeflügel umhüllten, und meißelten an diesen Formen.
Der Turm in der Mitte, so hoch, wie das Gebäude lang war, schien kurz vor der Vollendung zu stehen. Eine Kuppe an der Spitze, ein Glockenstuhl vielleicht, war von länglichen Schlitzen durchbrochen und mit einem schwarzen Schieferdach gedeckt.
Riesige schmale Türen am Fuße des Turms, verhüllt mit Leinenbahnen, die verhinderten, daß Kanazuchi einen Blick ins Innere werfen konnte. Trampelpfade im Sand rings um die Kirche und in Richtung Arbeits- und Materialplätze. Er sah behauene Steinblöcke, eine Säge, Werkzeugschuppen, Brennöfen für Ziegelsteine. Ein Heer von Arbeitern wimmelte auf dem Gelände. Aufseher waren unter ihnen nicht zu erkennen; jeder Mann und jede Frau wirkte zielstrebig und schien genau zu wissen, was zu tun war.
Eine Viertelmeile hinter dem Gebäude erhob sich ein kahler Berg aus glattem Felsgestein, eine blasse, monolithische Kuppel, die noch einmal doppelt so hoch war wie der Turm in der Mitte. Betrachtete man das Ganze von vorn, bildete der Fels einen dramatischen Hintergrund, der die imposante Erscheinung des Turms noch verstärkte. Zwischen dem Bauplatz und diesem Felsen lag die hintere Einfahrt, an der weniger starker Verkehr herrschte.
Er wartete, bis der Mond hinter einer Wolke verschwunden war, dann verließ er den Schutz der Hütten und bewegte sich ins Freie hinaus, weg von Turm und Stadt und schließlich von hinten zurück zu den Ausläufern der massigen Felsformation. Die Rückseite der Kirche kam in Sicht, aber dort war nicht annähernd soviel Betrieb wie vorn. Die hintere Fassade zeigte nichts von dem detailreichen Raffinement der Vorderfront; ihre Erbauer schienen die Kirche so entworfen zu haben, daß man sie allein von vorn zu betrachten hatte.
Kanazuchi studierte die Gewohnheiten der Arbeiter: In regelmäßigen Abständen schoben Weißhemden Schubkarren mit Schutt zum hinteren Eingang heraus, fuhren sie etwa hundert Schritt weit auf die Felsenkuppel und luden sie auf einer weiträumigen Halde ab. Er schlich sich zum Rand dieser Halde und verbarg sich hinter einem Haufen Schotter.
Als der nächste Arbeiter herankam, wartete Kanazuchi,
bis er seine Schubkarre hochstemmte, um sie auszukippen; dann brach er ihm mit einem einzigen Schlag das Genick und zerrte den Leichnam hinter den Schotterhaufen. Er entkleidete den Toten und zog die Sachen über seine eigenen: weißes Hemd, Hose und Stiefel. Rauher Baumwollstoff -das Überziehhemd hatte einen offenen Kragen und hing ihm bis auf die Oberschenkel, so daß er darunter Platz genug hatte, um wakizashi, das lange Messer, hinten in seinen Gürtel zu schieben. Schließlich begrub er mit bloßen Händen hastig den Toten unter dem Schotter.
Als er die Schubkarre holte, begegnete ihm ein zweiter Arbeiter mit einer neuen Ladung. Der blasse, schlanke junge Mann leerte seine Karre aus und nahm dabei kaum Notiz von ihm. Kanazuchi schnappte sich seine Schubkarre und folgte dem Mann auf dem Pfad zurück zum Hintereingang. Als sie näher kamen, erkannte er die ungeheuren Ausmaße der schwarzen Kathedrale: Sie war das größte Gebäude, das er je gesehen hatte. An ihrem Fuße blickte Kanazuchi hoch, und er konnte die Spitze des mittleren Turms nicht sehen.
Drinnen fuhren sie auf einer Holzrampe eine Treppe
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