Im Zeichen der Sechs
Gottes bezeichnet wird – verstehen Sie? Indem wir uns Gott widersetzen, werden wir selbst gottähnlicher. Das war Seine ursprüngliche Absicht, als Er uns schuf. Und damit der Mensch lebe, wie Gott es wollte, mußte das Böse im Herzen des Menschen von Anfang an existieren, denn ohne die Möglichkeit des Bösen, ohne die Möglichkeit, zwischen zwei Wegen zu wählen, kann er seinen freien Willen nicht ausüben.
Also: Das Böse war Gottes Urgeschenk an den Menschen. Folgen Sie mir bis dahin, Rabbi?«
Irgendwie fand Jacob die Kraft, den Kopf zu schütteln; zu dem Stampfen hatte sich jetzt ein markerschütterndes Rasseln in seinen Ohren gesellt, das alles bis auf Reverend Days Stimme übertönte.
»Das Böse hat einen Sinn, ja«, sagte Jacob. »Aber nur den, daß der Mensch mit seiner Zerbrochenheit kämpfen kann. Daß er danach streben kann, wieder ganz heil zu werden.« »Ja, das ist eine Möglichkeit, die uns offensteht; da stimme ich Ihnen zu. Aber es gibt offensichtlich noch einen zweiten Weg zur Göttlichkeit: das Streben nach jener Macht, die wir das Böse nennen«, fuhr der Reverend fieberhaft fort. »Ich gebe zu, den meisten Menschen steht dieser Weg nicht offen. Nur den wenigen, die in die Dunkelheit gestürzt und von ihr verdorben worden sind, und die doch die Kraft gefunden haben, sich wieder zu erheben –«
»Das ist kein Weg für Menschen«, sagte Jacob, und seine Stimme klang fern und blechern.
»Genau das meine ich«, sagte der Reverend mit breitem Lächeln, und Blut rann ihm über die Zähne. »Dieser weniger bereiste Weg besteht darin, Gott nachzuahmen, nicht darin, Ihm zu gehorchen. Gott gleich zu werden, indem man die Macht sucht und sich über Fragen von Gut und Böse hinausbegibt. Näher an Gott heranzukommen, als je ein Mensch es gewagt hat, indem man Seine Autorität herausfordert und bekämpft.«
»Sie können Gott nicht besiegen«, sagte Jacob; eine ungeheure Last zermalmte seine Gliedmaßen und drückte auf seinen Nacken.
»Ach, meinen Sie? Dann will ich Ihnen folgendes sagen: Damit wir dem Weg des Guten folgen, dem Weg Gottes, dem die meisten Menschen folgen, sind die großen Heiligen Bücher in die Welt gekommen. Das ist eine verbreitete Weisheit, nicht wahr? Uns gegeben als Wort Gottes – eine Reihe von Handbüchern für das Leben, geistliche Handbücher, die uns die Gebote Gottes im einzelnen darlegen, der Menschheit gegeben durch die Propheten der Weltreligionen.«
»Ja, ja.«
»Dann können wir sagen, daß Gott in diesen Büchern ist, nicht wahr? Gott erscheint uns in Seinen Worten und in Seinen Geboten, welche uns einschränken und definieren. Auf diese Weise manifestiert Gott sich am ehesten in unserer physikalischen Welt.«
»Einverstanden.«
Reverend Day beugte sich vor, und sein Gesicht war nur noch eine Handbreit von Jacobs entfernt. »Rabbi, wie können wir so sicher sein, daß es dem Menschen nicht bestimmt ist, Gott zu gehorchen, sondern, sich von Ihm zu befreien? Warum sollen wir weiter von der unbezweifelten Annahme ausgehen, daß der Plan, den Gott uns in diesen Büchern umreißt, der richtige ist?«
»Es liegt außerhalb unserer Möglichkeiten –«
»Aber Er hat uns doch den freien Willen gegeben; wie können wir sicher sein, daß es nicht Seiner wahren Absicht entspricht, wenn wir die Welt von Seinem Einfluß befreien und uns damit eines Tages selbst zu Göttern entwickeln? Was ist, wenn sich diese Befreiung als die wahre Funktion des Messias erweist, von dem die Bücher sprechen?«
»Ich verstehe nicht«, sagte Jacob und klammerte sich an sein Bewußtsein; Dunkelheit schob sich an den Rändern seines Gesichtsfeldes heran, und Tränen tropften ihm aus den Augen.
»Es wird in Ihren Ohren blasphemisch klingen: Stellen Sie sich vor, unsere sogenannte Gottheit ist nach kosmischen Maßstäben nichts als ein törichter, unentwickelter Welpe, von Zweifeln geplagt, besorgt und Seiner eigenen Absichten so unsicher wie nur jeder Mensch auf Erden. Stellen Sie sich ein solches Wesen vor, das nicht mehr fähig oder willens ist, uns zuverlässig zu führen, einen Vater, der die Gewalt über seine Kinder verliert, während wir über das Bedürfnis nach seinem Schutz hinauswachsen –«
»Das können wir nicht wissen –«
»Aber da bin ich anderer Meinung. Sehen Sie sich die Indizien an, Jacob. Betrachten Sie die Bosheit dieser Welt: Sünde, Gewalt, Korruption, Krieg. Würden Sie den Schöpfer eines solchen Hölleninfernos als ›unfehlbar‹ bezeichnen? Sind seine
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