Im Zeichen der Sechs
rauhe Gelände, wie es nur ging, ohne Lionel zu verlieren, und kurz vor sieben fanden sie die Straße nach The New City. Innes übernahm die Führung; er las die Karte fehlerlos. Die Allein Geht brachte sie über zwei unsichere Etappen. Doyle beobachtete Jack während des ganzen Rittes und wartete auf irgendein Lebenszeichen, das über bloßes Vegetieren hinausdeutete. Aber es kam keines. Er antwortete nicht auf Doyles Fragen, sein Blick war starr auf den Horizont gerichtet, und sein Gesicht ohne jeden Ausdruck.
Offenes Wüstenland erstreckte sich vor ihnen, und als der Mond am klaren Himmel aufging, beschleunigten sie ihr Tempo zu einem gleichmäßigen Galopp. Lionel klammerte sich aus Leibeskräften an seinen Sattel. Nach zwei Meilen scheuten die Pferde plötzlich heftig, und fast wäre Innes abgeworfen worden; irgend etwas war auf der rechten Seite, das ihnen angst machte. Doyle sah dunkle Schwingen, die über ihnen im Mondlicht kreisten.
»Nachteulen?« fragte er.
Die Allein Geht schüttelte den Kopf. Sie stieg ab und ging rechts vom Weg auf einem schmalen Pfad zwischen zwei Felsen hindurch. Dann hörte man sie rufen, und die andern stiegen ebenfalls ab und führten ihre Pferde zwischen die Felsen. Nach fünfzig Schritten, vor der Öffnung der Felsen, zeigten sich die Tiere erneut widerspenstig. Jack und Lionel blieben zurück; die andern schlichen sich mit gezückter Waffe weiter.
Der Gestank prallte ihnen mit voller Wucht entgegen, als sie zwischen den Felsen hervorkamen. Drei Dutzend Geier stoben auseinander.
Ein Nachmittag in der heißen Sonne hatte die achtunddreißig Leichen über die schrecklichen Greuel hinaus, die sie erlitten hatten, weiter verwüstet. Die meisten waren erschossen worden; ein Dutzend war an Messerstichen gestorben. Den Rest hatten Aasvögel erledigt.
Gut, daß wir im Dunkeln herkommen, dachte Doyle. Im Mondlicht sah das Blut schwarz aus, unwirklich.
»Nichts anrühren«, warnte er.
Er schaute nach links. Jack war zwischen den Felsen hindurchgekommen, und jetzt stand er abseits und starrte die verstümmelten Leichen an. Sein Gesicht verzerrte sich, belebt von aufkeimenden Gedanken und, dachte Doyle, den ersten Regungen von Wut. Etwas Wildes war da in ihm, ausgelöst durch den Geruch des Blutes.
Doyle trat vor und hob ein Abzeichen auf, das im Sand lag.
»Deputy«, las er vor. »Phoenix.«
»Sie haben alle eins«, sagte Die Allein Geht und watete weiter hinein.
»Lionel, bleiben Sie, wo Sie sind«, rief Doyle, der eben niederkniete, um eine Leiche zu untersuchen, und dabei sah, wie jener zwischen den Felsen auftauchte.
»Was ist denn da?« fragte Lionel.
»Bleiben Sie nur da«, rief er, und leiser sagte er: »Die meisten sind mittleren Alters und offensichtlich eher sitzende Tätigkeiten gewohnt.«
»Begreifen Sie das?« fragte Presto.
»Die mögen keine Polizisten«, meinte Innes.
»Das sind keine. Es sind Freiwillige.« Doyle studierte ein blutbeflecktes Stück Papier, das er einem der Opfer aus der Jacke gezupft hatte. »Ein Bürgerwehraufgebot – so nennt man es wohl. Sie haben diesen Mann gesucht.«
Doyle hielt ihnen das Flugblatt entgegen. Presto zündete ein Streichholz an, und sie sahen die grobe Tuschzeichnung eines diabolisch aussehenden Asiaten und darunter die kurze, blutrünstige Beschreibung seiner angeblichen Verbrechen.
»›Chop-Chop, der kopfabschlagende Chinamann‹«, las Innes. »›Gesucht wegen zehnfachen schrecklichen Mordes im ganzen Arizona Territory. Zahlloser anderer feiger Verbrechen verdächtigte«
»Ein fleißiger kleiner Halunke, was?« sagte Presto.
»›Der gefährlichste Mann der Welt‹«, las Doyle mit düsterer Heiterkeit. »Zumindest haben sie dem Impuls zum Übertreiben widerstanden. Und fünftausend Dollar Belohnung. Das erklärt die Freiwilligen.«
»Du lieber Gott, kann ein einzelner Mann denn all das getan haben?« fragte Presto und schaute sich fassungslos das Blutbad um sie herum an.
»Nicht allein. Diese Männer sind in ein Kreuzfeuer geraten.« Doyle zeigte auf zwei verschiedene Stellen am Rande des Platzes. »Von hier und von dort, hinter den Felsen. Vier Mann – mindestens.«
»Mit Repetiergewehren«, ergänzte Innes, der hinter den Felsen verschwunden war. »Alles voll Patronenhülsen.«
»Und sie haben alle noch ihren Kopf«, bemerkte Presto. »Kaum der traditionelle modus operandi dieses Chop-Chop –«
Das Flugblatt wurde ihm aus der Hand gerissen. Jack war von hinten herangekommen; er hielt das Blatt in der
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