Im Zeichen der Sechs
zusammen mit ihren übrigen Fehltritten. Mochte der knauserige Irre ihre verdammte Gage doch behalten: Dies war jedenfalls ihre letzte Vorstellung mit dem Ultimativen Tournee-Theater. Noch einmal in den Clinch mit Bendigo, und die Strafe wäre abgesessen.
Und dann? Sie würde mit Jacob in den Osten zurückfahren und dafür sorgen, daß er wohlbehalten nach Hause kam. Darüber hinaus – nun ja, sie liebte den alten Mann inniglich, aber sei realistisch, Schätzchen: Ist ein Leben mit Rabbi Stern wirklich das, was du dir für deinen Ruhestand vorstellen könntest? Eine Wohnung in der Lower East Side, wo du im Kopftuch den Abwasch machst und ihn in seinen Lebensabend begleitest – und wie lange mochte der wohl noch auf sich warten lassen? Frank McQuethy hingegen …
Eine Reihe von schwarzgekleideten Männern – die ersten, die sie sah, die nicht Weiß trugen – fiel ihr ins Auge, rechts über der Bühne, in der vordersten Loge im Rang. Sie standen um einen Mann herum, der allein ganz vorn vor der Balustrade saß. Sie beschirmte die Augen vor dem Gleißen des Rampenlichts.
Reverend Day.
Die Besprechung war also zu Ende. Ein Flattern begann in ihrer Brust, daß ihr schwindlig wurde. Dabei müßte das doch eine gute Nachricht sein. Frank und Jacob würden sie erwarten. Wieso war ihr plötzlich so mulmig?
Während der Reverend die Aufführung verfolgte, schienen die harten Konturen seines Gesichts von irgendeiner bösartigen, abscheulichen Freude erleuchtet zu sein; er strahlte kalte Intelligenz und Grausamkeit aus, wie er den Kopf auf dem schrecklich vorgereckten, dürren Hals so unablässig hin und her drehte.
Jacob war nicht in Sicherheit, und sie wußte es.
Sie hörte ein fernes Knattern, als würden draußen vor dem Theater Knallfrösche gezündet, gefolgt von gedämpftem Geschrei und dem dunklen Klang einer Glocke – die Schauspieler wirkten plötzlich albern; die Wirklichkeit drang in die zerbrechliche Pose ihrer Scheinwelt ein und entlarvte die Illusion als hohl und ein wenig lächerlich.
Die Wachen in der Loge strafften sich. Der Reverend fuhr herum und gestikulierte, und zwei der Männer liefen rasch hinaus. Die Aufmerksamkeit des Reverends war nicht mehr bei der Handlung auf der Bühne – Bendigo stolzierte herum, schwenkte sein Schwert und erging sich in den Zuckungen des Heroentums. Die anderen Schauspieler merkten nichts …
Eine Handvoll schwarz behemdeter Wachen stürzte in die Loge, geführt von dem Mann im langen grauen Mantel, den Eileen schon auf der Straße gesehen hatte; Reverend Day drehte sich zu ihnen um, hob erschrocken die Stimme, redete jetzt gegen die Schauspieler an.
»Nein! NEIN!« schrie er.
Im Publikum wandten sich Köpfe, verwirrtes Gemurmel setzte ein. Das Chaos in der Loge drohte überzukochen.
»NEIN! NEIN! NEIN! NEIN!«
Reverend Day schien außer sich, und die Männer um ihn herum wichen erschrocken vor ihm zurück. Die Schauspieler verloren den Faden, fielen aus der Rolle, spähten in die Unruhe hinaus. Bühnenarbeiter guckten aus der Seitendekoration. Bendigo brach seinen Auftritt ab, verfolgte das Problem bis zu seinem Ursprung und marschierte ungeduldig bis an die Rampe.
Reverend Day wirbelte herum, trat hinkend an die Balustrade seiner Loge und brüllte ins Publikum.
Alle Augen richteten sich auf ihn. Ein verzweifelter Eifer verzerrte seine Züge.
»ES KOMMT! ES KOMMT! DAS ZEICHEN! ES HAT BEGONNEN, MEINE KINDER! DIE ZEIT IST DA!«
Jäh fegte ein Sturm des Entsetzens über die Weißhemden im Publikum hinweg. Stöhnen, Heulen, Schreien, von Männern wie von Frauen. Furchtbar, erbärmlich, elend.
»DIE ZEIT DES HEILIGEN WERKES IST GEKOMMEN! DER AUGENBLICK UNSERER ERLÖSUNG!«
Die Weißhemden erhoben sich taumelnd von den Sitzen und drängten die Gänge hinauf; krochen übereinander hinweg in ihrer Hast, irgendeine unbekannte Aufgabe zu erfüllen, an einem Ort, den sie verzweifelt zu erreichen versuchten.
»Entschuldigung!«
»AUF EURE POSTEN, JEDER VON EUCH, SOFORT! DER AUGENBLICK IST GEKOMMEN –«
»Ent-SCHUL-digung!«
Bendigo Rymer stand an der Rampe, ein empörter Pfau, und fuchtelte mit seinem Schwert zu der Loge hinauf.
Gespenstische Stille. Reverend Day starrte den Mann entsetzt an.
»Wirklich, Sir. Wir ver-SUCHEN hier eine VOR-stellung zu geben. Eine verdammt GUTE, wenn ich das SELBST SAGEN darf. Was IMMER hier vorgeht, ist SICHER alles SEHR WICHTIG. Aber ich glaube NICHT, daß es zu-VIEL verlangt ist … damit zu WARTEN, bis wir FERTIG
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