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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Versteck aus alles beobachtete – kurz nachdem er damit angefangen hatte –, hatte Kanazuchi eine deutliche Unterbrechung in der Konzentration der Weißhemden bemerkt: als sei die Kraft, die sie lenkte, unvermittelt zusammengebrochen. Einige waren wie angewurzelt mitten auf der Straße stehengeblieben, andere waren auf die Knie gefallen, und ein paar hatten offenbar starke Schmerzen gehabt. Kurze Zeit später hatte die Kontrolle wieder eingesetzt, und die Weißhemden waren ihren Geschäften nachgegangen, als sei nichts passiert.
    Niemand behelligte ihn, als er sich dem Stall näherte. Die Scheune schien leer zu sein. Im Lichtschein einer einzelnen Laterne betrat er den Hof dahinter, wo die Wagen der Schauspieler standen. Er blieb stehen und lauschte: niemand da. Behutsam teilte Kanazuchi die Plane des Wagens, mit dem er gefahren war, und starrte im nächsten Moment in die Mündung eines Gewehrs.
    »Eileen sagt, ich darf dich nicht umbringen«, sagte der Mann, der drinnen kniete.
    Der Hahn war schon gespannt, der Finger krümmte sich um den Abzug.
    Wenn ich angreife, trifft mich die Kugel, erkannte Kanazuchi.
    »Ich möchte es nicht«, sagte der Mann. »Aber ich tu’s.«
    Kanazuchi schaute ihm in die Augen. Ein ernsthafter, ein guter Mann; nichts hatte seine Anwesenheit im Wagen verraten. Er wußte, wie man sich versteckte, und er wußte zweifellos auch, wie man tötete.
    »Was willst du?« fragte Kanazuchi.
    »Sie haben Jacob. Eileen sagt, du brauchst ihn für irgend was, und du würdest ihn zurückholen wollen. Stimmt das?«
    »Ja.«
    »Dann brauche ich deine Hilfe.«
    Kanazuchi nickte. Der Mann ließ den Schlagbolzen langsam zurückfedern, senkte aber das Gewehr nicht.
    »Wo ist er?« fragte Kanazuchi.
    »In dem großen Lehmziegelhaus.«
    »Wir müssen ihn herausholen.«
    »Ich hatte gehofft, daß du das sagen würdest. Suchst du das hier?«
    Der Mann warf ihm den Grasschneider zu. Kanazuchi fing die Waffe auf und hatte in einer schwindelerregend schnellen Bewegung das Schwert gezogen. Die Hand des Mannes am Gewehr zuckte nicht.
    »Mein Name ist Frank«, sagte der Mann.
    »Kanazuchi.« Er verneigte sich leicht.
    »Kana … bedeutet das etwas auf Englisch?«
    »Es bedeutet ›Hammer‹.«
    »Na, was du nicht sagst, Hammer.« Endlich ließ Frank sein Gewehr sinken. »Dann wollen wir mal ein kleines Feuerwerk veranstalten.«
    Kanazuchi trat beiseite, als Frank aus dem Wagen stieg. Sie musterten einander wachsam; das spürbare Gefühl von professioneller Verwandtschaft und einer gemeinsamen Sache bildete ein empfindliches Gegengewicht zu einem starken Selbsterhaltungsinstinkt. Beide warteten, daß der andere sich als erster bewegte, und dann drehten sich beide wie ein Tanzpaar um und gingen im Gleichschritt auf den Stall zu.
    »Haben mir den Revolver weggenommen, als ich angeritten kam, aber das Gewehr haben sie in der Satteltasche gelassen. Und in meinem Stiefel haben sie nicht gesucht.« Frank berührte den Kolben des zweiten Revolvers in seinem Halfter.
    »Ein Fehler.«
    »Diese Stadt ist noch erbärmlicher als ein Sack ersäufter Katzen.«
    »Sie ist wie eine Uhr. Aufgezogen, bald abgelaufen.«
    »Wird nachlässig.« Frank nickte. »Du spürst es auch.«
    »Ja.«
    »Der Fisch stinkt vom Kopf her«, sagte Frank.
    »Wenn man den Kopf abschneidet, fällt der Körper.«
    »Na, davon verstehst du ja was.«
    »Sorry?«
    »Das war so was wie ein Witz, Hammer.«
    Kanazuchi überlegte kurz und nickte dann. »Verstehe.«
    Unmittelbar vor der Ecke zur Main Street blieben sie stehen. Geisterhaftes Gelächter, gefolgt von Applaus, wehte vom Theater herüber und verhallte in gespenstischer Stille. Im Haus der Hoffnung brannte Licht in den Fenstern beider Stockwerke; vorn auf der breiten Veranda sahen sie mindestens sechs Wächter in Schwarz auf und ab gehen.
    Frank riß an der Scheunenwand ein Streichholz an und zündete sich einen Zigarillo an. »Schätze, dieser Reverend A. Glorious Day ist derjenige, den wir uns schnappen müssen«, meinte er.
    »Zwölf Männer bewachen das Haus. Nur drei sind hinten«, sagte Kanazuchi und beobachtete ihre Bewegungen.
    »Laufen sie viel herum?«
    Kanazuchi nickte. »Sie wechseln jede Stunde.«
    Frank sah auf die Uhr. »Hätte da eine Idee, wie wir vielleicht hineinkommen.«
    Während sie die Main Street überquerten, erklärte Frank, was er sich gedacht hatte. Kanazuchi war einverstanden. Sie bogen in eine Seitengasse ein und näherten sich der Hintertür des Hauses der Hoffnung.
    Drei

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