Im Zeichen der Sechs
ohne ein Wort in die Dunkelheit davongestürmt; Lionel wollte ihm folgen, aber er stolperte durch den Gang und hatte sich bald verirrt. Er hörte jemanden schreien, und aus einiger Entfernung hallten Schüsse von links herüber, wo das Licht heller wurde; er lief gleich los, und nach zwei Biegungen kam er unvermittelt in dem runden Raum heraus. Gespenstische Schreie von oben unterstrichen stakkatohafte Feuerstöße. Das Licht in der Kammer blendete seine Augen, und er hob den Arm, um sie vor der Helligkeit zu schützen. Es sah aus, als fließe in der Mitte des Raumes ein steter Strom von Blut aus der Decke auf eine Gestalt, die dort unten in einer Lache lag.
Sie sah aus wie sein Vater.
»Was haben Sie da?« fragte eine Stimme von links.
Er fuhr herum. Eine alptraumhafte Gestalt, die aussah wie eine wandelnde Leiche, winkte ihn zu sich, und der Kasten, den er trug, flog ihm aus den Händen drei Schritt weit durch die Luft und landete in den Armen des gespenstischen Mannes. Der riß den Deckel hoch und legte die Hand auf das Gerona Sohar.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte der Mann.
Er schien all sein Interesse an Lionel verloren zu haben, und Lionel stürzte sich auf seinen Vater und zerrte ihn aus dem Katarakt von Blut, das in mächtigem Schwall durch eine Rinne in einen offenen Schacht am Ende der Kammer floß.
»Du lebst«, keuchte Lionel.
»Und ich bin wirklich sehr froh, dich zu sehen, mein Sohn«, sagte Jacob leise. »Hast du eine Waffe?«
Lionel zog den Revolver aus seinem Gürtel.
»Erschieße ihn.«
Jacob deutete mit dem Kopf auf den Mann auf der anderen Seite des Kreises, der ihnen seinen buckligen Rücken zugewandt hatte und eben das Buch Sohar in die letzte der silbernen Laden legte.
Lionel hob den Colt und zielte mit zitternden Händen. Der Mann drehte sich um und schwenkte den Arm; ein Ruck durchfuhr Lionels Körper, und der Schuß ging weit daneben. Der Revolver flog ihm aus der Hand in den Schacht. Lionel fiel auf die Knie.
Ohne weiter auf sie zu achten, ging Reverend Day zu einem Kohlenbecken am Rande des Kreises. Er nahm eine Handvoll Streichhölzer aus der Tasche und versuchte, eines an dem Becken anzureißen, aber es brach ab. Er versuchte es noch einmal, mit dem gleichen Ergebnis, und dann ein drittes Mal.
»Verdammt.« Reverend Day lachte auf. »Wegen eines Streichholzes …«
Ein Schrei, der einem das Blut in den Adern gerinnen ließ, und zwei dröhnende Schüsse hallten aus dem Labyrinth. Reverend Day legte den Kopf schräg und lauschte; dann warf er die Streichhölzer weg, hinkte zur Wand, nahm eine Laterne herunter und kehrte damit zu dem Kohlenbecken zurück.
Lionel bemühte sich in wilder Hast, seinem Vater die Handfesseln zu lösen. Über ihnen erstarb die Schießerei; sie hörten nur noch vereinzelte Gewehrschüsse und das anschwellende, jämmerliche Geheul der Verwundeten.
Das Blut floß durch die Gitter herunter und strömte durch die Rinne in den Schacht, und das Grollen aus der Tiefe der Erde wurde lauter.
Die letzten Schwarzhemden vor der Kirche warfen ihre Gewehre weg und rannten davon, gleich nachdem das letzte Maschinengewehr sein Feuer eingestellt hatte. Durch sein Fernglas sah Doyle die ersten rotbespritzten Weißhemden aus dem offenen Turm der Kathedrale kriechen.
»Kommt«, sagte er.
Zusammen mit Eileen half er Innes auf die Beine, und sie eilten auf die Kirche zu. Doyle fing an zu laufen und rannte ihnen voraus. Er kam an schwarz behemdeten Leichen vorbei, die rings um die Kirche lagen, und blieb stehen, als er das Portal erreicht hatte Drinnen hatte ein Massaker stattgefunden. Tote lagen übereinander. Der Boden der Kirche war ein roter See. Betäubte Überlebende kamen taumelnd auf die Beine.
Eileen und Innes hatten ihn eingeholt. Eileen verschlug das Entsetzen den Atem.
»Guter Gott, Arthur«, sagte Innes und schüttelte fassungslos den Kopf. »Guter Gott.«
Es gab zahlreiche Verwundete, Hunderte, und sie brauchten schnelle Hilfe.
»Wir müssen sie hinausschaffen, wo wir etwas sehen können«, sagte Doyle. Er packte Eileen bei den Armen, schaute ihr in die Augen und sagte mit fester Stimme: »Ich brauche deine Hilfe. Jetzt ist keine Zeit für Tränen.«
Sie sah das wilde Mitgefühl in seinem Blick und nickte. Zusammen gingen sie die blutigen Stufen hinunter. Sie sprachen mit denen, die noch gehen konnten, und schickten sie nach vorn, damit sie den Überlebenden halfen, sich vor der Kirche zu sammeln. Viele reagierten nicht, andere
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