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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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als hätten sie einen bengalischen Tiger in den Armen.
    Der Priester wankte nicht.
    »Im Namen all dessen, was heilig ist, befehle ich dir, Unreiner Geist, diesen Leib zu verlassen!«
    Die Frau sah ihn an. Friedfertig, heiter. Lächelte engelhaft.
    »Erinnerst du dich an deinen Traum?« fragte sie den Priester. Es war wieder eine Frauenstimme: dunkel, intim, melodisch. Aber nicht die Sophies.
    Der Priester starrte sie erstaunt an.
    »Es gibt sechs. Du bist einer. Höre auf den Traum.«
    Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
    »Du mußt die anderen finden. Es sind fünf. Du wirst sie erkennen. Scheiterst du, so stirbt die Hoffnung mit dir. Dies ist das Wort des Erzengels.«
    Die Stimme war so leise, daß niemand sonst sie hörte – nur Doyle, Innes und der Priester. Ihr Lächeln schwand, und die Frau erschlaffte in ihren Armen. Doyle legte Sophie behutsam auf den Boden. Langsame, flache Atmung. Ohnmacht.
    Die Luft im Raum war wieder klar. Die Zeit, die scheinbar stehengeblieben war, ging weiter. Mrs. Saint-John brach zusammen; Innes fing sie auf, ehe sie auf dem Boden aufzuschlagen drohte.
    Kapitän Hoffner erschien neben Doyle. Seine glatte Fassade war ruiniert. »Mein Gott. Mein Gott.«
    »Bringen Sie sie ins Bett«, sagte Doyle.
    Hoffner nickte. Besatzungsmitglieder fanden sich ein. Sophie Hills wurde vorsichtig hinausgetragen, Innes erweckte die benommene Mrs. Saint-John fächelnd zum Leben. Eine ernüchternde Erleichterung, wie sie den Überlebenden eines Unfalls eigentümlich ist, durchströmte die Zuschauer; einige blieben wie vom Donner gerührt auf ihren Stühlen sitzen, andere gingen langsam hinaus und hielten sich aneinander fest.
    Der junge Mann aus dem Speisesaal, so eifrig wie zuvor, fing noch einmal Doyles Blick auf. Ein respektvoller, drängender Appell – jetzt, Sir? Doyle nickte ihm zu: Ja, in meiner Kabine, in einer halben Stunde.
    Er wollte vorher mit dem Priester sprechen – wo war er? Doyle drehte sich um: keine Spur von ihm.
    Da in der Ecke stand Pinkus. Kotzte in seinen Hut.
    Also war der Abend doch nicht ganz verdorben.
    Innes kam in Doyles Kabine gestürzt.
    »Miß Hills ruht jetzt bequem –«
    »Und der Priester?« fragte Doyle und blickte von dem Buch auf, das er in der Hand hielt.
    »Nirgendwo an Deck. Ich habe versucht, vom Büro des Stewards aus seine Kabine anzurufen, aber anscheinend weiß niemand, in welcher er wohnt. Die Kellner im Speisesaal sagen, er heißt Devine, Father Devine aus Kilarney –«
    Es klopfte leise. Doyle nickte. Innes ließ den nervösen jungen Mann herein: Mitte Zwanzig, mittelgroß, hohe Stirn, große Eulenaugen, schütteres braunes Lockenhaar, eine leicht gebeugte Haltung – die vergebungheischende Erscheinung eines Mannes, der unablässige Selbstverleugnung ausstrahlt. Die dunklen Ringe unter den Augen bildeten die einzige Farbschattierung in seiner gespenstischen Blässe.
    »Mr. Conan Doyle, ich danke Ihnen, Sir, vielen Dank, daß Sie mich empfangen. Ich bedaure zutiefst, daß ich Ihnen Ungelegenheiten …« Amerikanischer Akzent. New York? Der Mann warf Innes einen Blick zu; er war nicht sicher, ob er fortfahren sollte.
    »Mein Bruder wird Ihr Vertrauen nicht mißbrauchen, Sir. Wer sind Sie, und wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Mein Name ist Lionel Stern. Ich bin zusammen mit den Gentlemen an Bord gekommen. Reise mit einem Geschäftspartner. Ich wollte Sie sprechen, Sir, weil wir Grund zu der Annahme haben, daß jemand auf diesem Schiff uns ermorden will, bevor wir New York erreichen.«
    »Das haben Sie dem Kapitän vorgetragen.« Das Gespräch, das er bei der Brücke belauscht hatte.
    »Recht ausführlich. Er behauptet, sein Schiff sei sicher, und alle vernünftigen Vorsichtsmaßnahmen seien getroffen, er sei jedoch außerstande, uns zusätzliche Garantien zu geben.«
    »Womit konnten Sie denn untermauern, daß Ihr Leben tatsächlich bedroht wird?«
    Stern machte ein verblüfftes Gesicht. »Man ist uns auf dem ganzen Weg von London bis Southampton gefolgt –«
    »Und, so nehmen Sie an, auch an Bord des Schiffes.«
    »Ja.«
    »Hat man irgend etwas direkt gegen Sie unternommen?«
    »Bisher nicht, aber –«
    »Haben Sie die Person oder die Personen, von denen Sie annehmen, daß sie Sie ermorden wollen, gesehen? Oder haben Sie Kontakt mit ihnen gehabt?«
    »Nein.« Der Mann schaute die beiden Brüder betreten an; sein Vorrat an untrüglichen Beweisen war anscheinend erschöpft. Keine Rede von dem ›Buch‹, von dem Doyle bei ihrer Unterredung mit dem

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