Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
Vom Netzwerk:
Aber abseits der Hauptstraße gibt’s in der ganzen Stadt kein einziges Gebäude mit mehr als vier Wänden und einem Holzboden, abgesehen von der großen schwarzen Kirche am Stadtrand.
    Wie hatte der Reverend sie genannt? ›Die Kathedrale‹.
    Nun war Cornelius in St. Louis gewesen, in New Orleans und in San Francisco, und dieses Ding sah nicht aus wie die Kathedralen, die er schon zu Gesicht bekommen hatte: Türme, Zacken, schwarze Steine, weit und breit kein einziges Kreuz, Treppen, die sich hierhin und dahin wanden. Sah eher aus wie eine Burg in diesen Kindermärchen. Aber immerhin groß genug, um in jede dieser anderen Städte zu passen. Und wuchs schnell weiter – ein ganzer Stock voller Arbeitsbienen …
    Das war’s, woran ihn dieser Ort erinnerte: ein Bienenstock. Die Leute summten herum, als hätten sie zuviel zu tun und keine Zeit, es zu schaffen.
    … und unter der Erde waren Sprengarbeiten im Gange; seit seiner Ankunft hörte er rund um die Uhr gedämpfte Explosionen. Mußte wohl ’ne Art Bergbau sein, in den hohen Felsen hinter dem Turm, Quarz, vielleicht auch Silber oder Gold. Irgendeine Art von frischem Geld finanzierte dieses verrückte Kaff.
    Cornelius schmorte im eigenen Saft. Erst lassen sie ihn den halben Vormittag über im Wohnzimmer des Reverend warten, ohne ihm auch nur eine Limonade anzubieten, um den Staub runterzuspülen. Dann darf er in einem Zimmer mit dem Obergockel Platz nehmen, und er hat kaum hallo gesagt, als der Reverend auch schon mit einer donnernden Tirade gegen die Schlechtigkeit des Menschen loslegt, und wie es The New City vorherbestimmt sei, sich aus der Wüste zu erheben und eine Welt ohne Sünde zu schaffen – weshalb er nicht zulassen könne, daß die Eisenbahn den fauligen Makel der Zivilisation in ihren Garten Eden bringe.
    Gleich von Anfang an will Cornelius ihn unterbrechen: Spar dir deinen Atem, Freundchen; ich bete nicht mal zu deinem Gott, auch wenn ich hin und wieder einen Chinamann zu Ihm schicke. Aber so sehr er sich auch bemüht, Cornelius findet keine Gelegenheit, seinen eigenen Sermon vorzutragen, wie doch niemand, der seine sieben Zwetschgen beieinander habe, die Eisenbahn in Frage stellen könne-
    Wenn man’s sich überlegte …
    Ein Trupp Kulis war vor drei Monaten von der Baustelle der Nebenstrecke Nord-Süd-Arizona desertiert; eine Tonne Material hatten sie auch gleich mitgehen lassen, Sprengstoff und dergleichen. Keine hundert Meilen von hier. Und er hatte mehr als eine Handvoll Chinesengesichter im Gedränge gesehen, als er hier angekommen war … könnte also sein, daß dieser kleine Ausflug doch noch der Mühe wert war.
    Aber während ich hier sitze und dem Geseire dieses Pfaffen zuhöre – nicht, daß es mich auch nur halb interessiert, worüber er sich da den Mund fransig redet, aber es liegt doch etwas Eigentümliches in der Stimme des Reverends, das es mir schwer macht, meinen Spruch anzubringen: ein Summen im Zimmer, wie ein paar Pferdebremsen oder ein Bienenschwarm Was steht da auf dem Pult des Reverend?
    Sieht aus wie eine … eine Schachtel mit Nadeln. Das ist es. Nadeln. Eine offene Nadelschachtel. Noch nie Nadeln gesehen, die so aussahen. Glänzend. Lang. Sehen neu aus. Müssen neu sein. Was ist da bloß dran? Sind sie neu?
    »Ganz recht, Mr. Moncrief. Glänzende neue Nadeln.«
    »Wie bitte?« sagte Cornelius, ohne den Blick von der Schachtel zu wenden. Nicht, daß er es wollte. Er fühlte sich wohl, ganz warm innerlich, so gut wie seit seiner Ankunft hier nicht mehr … wann war das gleich gewesen – gestern?
    »Gehen Sie nur und schauen Sie sie an. Es ist kein Problem, die Nadeln anzuschauen, oder, Mr. Moncrief?«
    Cornelius schüttelte langsam den Kopf. Wärme breitete sich in ihm aus, tief und schnell, wie Kentucky Bourbon aus einem kühlen Glas. Er konnte sich entspannen. Es war kein Problem, die Nadeln anzuschauen.
    »Nehmen Sie sich soviel Zeit, wie Sie brauchen. Das ist in Ordnung.«
    Reverend Day rührte sich nicht. Stand hinter dem Schreibtisch. Konnte ihn nicht anschauen. Augen wurden weich …
    Die Nadeln regten sich in der Schachtel. Es war Leben darin. Ja, er wußte es. Sie verschoben sich, rieselten übereinander, und dann kamen die Nadeln schnell, eine nach der anderen, aus der Schachtel und blieben vor ihm in der Luft hängen. Glänzend wie Zierat, Weihnachtsflitter – nein, das Licht flackerte auf ihnen, Reflexe flogen hoch im Zimmer umher: wie Diamanten. Händevoll Diamanten.
    »Schön«, flüsterte Cornelius. »So

Weitere Kostenlose Bücher