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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Sekunde. Er würde sich verteidigen müssen. Es hatte eine Zeit gegeben, da war er mit dem Messer jedem überlegen gewesen, aber seit zehn Jahren hatte er keinen nennenswerten Kampf mehr auszufechten gehabt.
    Eine Pistole in der oberen Schublade des Tisches dort. Little Pete krabbelte hinüber und holte die Waffe mit wild zitternden Händen heraus; haltsuchend griff er nach der Tischkante. Mit dem Ärmel seiner Pistolenhand wischte er sich den Sabber vom Kinn und bemühte sich, seine Stimme so weit unter Kontrolle zu bekommen, daß er seine Leibwächter rufen könnte, aber die Worte erstarben ihm im Halse. Sein Herz schlug zu heftig, und seine Zunge war träge und wie aus Watte.
    Langsam, immer langsam jetzt, Pete. Hier ist eine gute Stelle. Von hier aus kannst du jede Tür und jedes Fenster sehen. Halte die Pistole fest, mit beiden Händen. Warte, bis sie nahe genug herangekommen sind. Verschwende keine Patronen -
    Mit ungeheurer Wucht wurde sein Kopf von hinten auf die Tischplatte geschlagen. Die dicke Glasabdeckung auf der Hartholzoberfläche zersprang, und sein Gesicht wurde unbeweglich daraufgepreßt. Little Pete fühlte, wie es ihm warm übers Gesicht lief, und er sah, wie sein eigenes Blut in reichem Strom zwischen die Splitter floß. Dann wurde sein Arm nach hinten gerenkt und ihm die Pistole aus der Hand genommen wie eine Babyrassel.
    »Dir ist klar, wie leicht ich dich töten kann«, sagte eine ruhige Stimme.
    »Ja«, krächzte Little Pete.
    »Deine Leibwächter sind tot. Niemand wird dir zu Hilfe kommen. Beantworte mir meine Fragen, verschwende keine Zeit, und du wirst weiterleben.«
    Die Stimme sprach makelloses, akzentfreies Mandarin. Er kannte diesen Mann nicht. Little Pete wollte zustimmend nicken, aber dabei rieb er sich das zersplitterte Glas nur noch tiefer ins Gesicht.
    »Du verkaufst Arbeiter an die Eisenbahn«, sagte die Stimme.
    »Ja.«
    »Tunnelmänner. Chinesen. Die etwas von Sprengstoff verstehen.«
    »Ja, ein paar –«
    »Viele kann es davon nicht geben.«
    »Nein. Nicht, wenn sie gut sind.«
    »Du würdest sie also kennen, nicht wahr, wenn sie gut sind.«
    Was um Himmels willen sollte denn das?
    »Ja. Wenn sie beim Sprengen arbeiten. Die meisten waren früher Bergleute. Sie sind wegen des Goldrauschs hergekommen.«
    »Du hast ein paar in die Wüste hinausgeschickt.«
    Little Petes Gedanken überschlugen sich. Es gab nicht mehr viele chinesische Sprengarbeiter; die guten waren immer gesucht – es war schwer, jetzt klar zu denken …
    »Antworte oder ich bringe dich um.«
    Sie arbeiteten in Teams; seine Büros erledigten auch den Verkauf und Versand von Dynamit. Jetzt konnte er sich nicht erinnern; er würde in seinen Büchern nachschauen müssen – aber das würde Zeit brauchen. Würde dieser Mann ihn lange genug leben lassen?
    Halt. Da fiel ihm etwas ein. Ja. »S. F., P and P.«
    »Was ist das?«
    »Santa Fe, Prescott and Phoenix Railroad. Ein Team.«
    »Wann?«
    »Vor sechs Monaten.«
    »Wohin genau hast du sie geschickt?«
    »Ins Arizona Territory. Zur Arbeit an der Linie westlich von Tucson. Aus Stockton, sie kamen aus Stockton in Kalifornien. Weiter erinnere ich mich an nichts; ich weiß ihre Namen nicht, aber die könnte ich für Sie herausfinden. Vier Männer –«
    Der Mann umfaßte Little Petes Kopf mit der ganzen Hand und rammte ihn mit dem weichen Zentrum der Schläfe gegen die Tischkante. Little Pete sackte bewußtlos zu Boden.
    Kanazuchi ging zum Balkon, kletterte behende an einem Spaliergitter zum Dach hinauf und verschwand. Niemand hatte ihn hereinkommen sehen, niemand sah ihn fortgehen.
    Als Little Pete wieder zu sich gekommen war und der Aufruhr über die Morde in seinem Stadthaus sich wie ein Lauffeuer in Tangrenbu verbreitete – einem seiner Leibwächter waren die Füße abgeschnitten und Little Pete zum Mittagessen serviert worden, und man hatte ihn gezwungen, sie aufzuessen, wie es in extravaganteren Versionen behauptet wurde –, hatte Kanazuchi die Stadtgrenzen von San Francisco längst hinter sich gelassen.
    Gespenstische Stille unter Deck. Die Maschinen waren zusammen mit den Lichtern abgeschaltet worden. Die Elbe lag tot im stillen Wasser. Im Laderaum war es finster und unwirtlich wie im Bauch eines Wals.
    »Gott im Himmel –«
    Doyle brachte Kapitän Hoffner zum Schweigen. Sie standen da und spitzten die Ohren …
    Jemand kam den Gang zu dem vierzig Fuß unter der Wasserlinie gelegenen Frachtraum herunter, wo die fünf Männer neben den leeren Särgen

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