Im Zeichen der Sechs
Zorns. Er fühlte sich betrogen. Jack war in sein Leben zurückgekehrt, wie Doyle es immer erhofft hatte, aber der Mann, der an seiner Stelle erschienen war, war eine Hülse, ein Überrest, und er brachte Doyle um die Genugtuung eines wahren Wiedersehens. Es war zu früh, um zu sagen, ob noch irgendeine Spur von dem Sparks, den er gekannt hatte, in dem geisterhaften Schatten vorhanden war, der ihre Droschke lenkte; aber bisher waren die Hinweise alles andere als ermutigend.
Und dennoch ist Jack gegen alle Wahrscheinlichkeit nun schon so weit aus dem Grab heraufgekommen; vielleicht kann ich ihm auf dem restlichen Stück voranhelfen? Bin ich ihm nicht wenigstens soviel schuldig? Ist dieser Mann nicht verantwortlich für einen so großen Teil des Glücks, das in mein Leben gekommen ist? Jawohl, mein Gott: Wenn die Chance besteht, daß er wieder zu sich kommt, dann muß ich durchhalten.
Jack warf ihm vom Kutschbock herunter einen Blick zu. War da ein Aufflackern von Gefühl in seinen Augen, diese alte Seelenverwandtschaft zwischen ihnen? Als habe er Doyles Gedanken gelesen und schaue nun herab, um ihn zu beruhigen:
Ich bin noch hier. Haben Sie Vertrauen. Es wird Zeit erfordern, keine Worte, um diesen Schaden zu reparieren. Oder war das nur Wunschdenken?
»Arthur?« fragte Innes noch einmal. »Fahren wir denn nicht zurück zum Hotel?«
Doyle betrachtete seinen Bruder. Innes hatte sich, kaum daß er das gesetzlich vorgeschriebene Alter erreicht hatte, zu den Royal Fusiliers gemeldet. Im Herzen war er immer noch Soldat; stets brannte er auf einen Kampf und war darauf erpicht, den Interessen der Krone zu dienen. Hatte er sich mit seinem Einsatz auf der Elbe nicht ohne jeden Zweifel bewiesen? Wenn er also jemanden ins Vertrauen ziehen mußte, wer wäre dann besser geeignet als sein eigen Fleisch und Blut?
»Wir haben vorher noch eine Angelegenheit zu erledigen«, sagte er.
»Eine Angelegenheit? Was für eine Angelegenheit?« fragte Innes.
Doyle holte tief Luft. Ja, er würde es ihm sagen. »Ein Mann, den ich früher kannte. Heißt Jack Sparks. Arbeitete als Geheimagent der Königin.«
»Nie davon gehört«, sagte Innes skeptisch.
»Eben. Weil es geheim war«, sagte Doyle geduldig.
»Hmm. Und was ist mit diesem Sparks?«
»Wir sind uns vor zehn Jahren begegnet. Innes, du darfst niemals mit irgend jemandem darüber sprechen. Du mußt mir dein feierliches Ehrenwort geben.«
»Du hast es«, sagte Innes, und seine Augen rundeten sich.
»Jack hatte einen älteren Bruder, Alexander. Als sie Kinder waren, ermordete Alexander ihre Schwester. Sechs Monate alt. Erstickte sie in der Krippe.« »Er muß verrückt gewesen sein.«
»Durch und durch. Aber da sie ihm keinerlei Schuld nachweisen konnten, schickten sie ihn auf ein Internat. Und eines Nachts, Jahre später, als Jack auf dem Kontinent zur Schule ging, kehrte Alexander zurück. Ihr Heim, ein Landsitz in Yorkshire, brannte bis auf die Grundmauern nieder, und alle, die darin waren, starben. Allerdings nicht, bevor Alexander seine eigene Mutter vor den Augen des Vaters schändete und abschlachtete.«
Innes bekam vor Schreck schmale Augen. »Schrecklich.« Doyle hatte Jacks Geschichte noch nie jemandem erzählt, aber diese Reaktion war nicht überraschend.
»Der Vater überlebte noch lange genug, um einen Brief an Jack zu diktieren, in dem er von Alexanders Verbrechen berichtete. Von diesem Tag an weihte Jack sein Leben dem Bemühen, seinen Bruder zur Strecke zu bringen. Dabei bildete er sich zum größten Feind heran, den das kriminelle Element in unserem Lande je gekannt hat. Schließlich trat er in den Dienst der Königin und leistete die gleiche Arbeit im Auftrag der Krone.
Vor zehn Jahren dann entpuppte Alexander sich schließlich als führenden Kopf in einem ruchlosen Komplott gegen die Krone; es gab noch sechs Mitverschwörer, und sie nannten sich die Sieben. Mit etwas Hilfe von meiner Seite vereitelte Jack ihren wahnsinnigen Plan und verfolgte Alexander auf den Kontinent. Es endete damit, daß beide an den Reichenbach-Fällen in der Schweiz in den Tod stürzten.«
»Aber das ist – guter Gott, Arthur, das ist Holmes!« japste Innes.
»Nein«, sagte Doyle und zeigte zu Jack hinauf. »Das ist er. Und er braucht unsere Hilfe.«
»Seit neun Tagen hat niemand meinen Vater gesehen«, sagte Lionel Stern. »Er hat einen jungen Assistenten, einen rabbinischen Studenten, der einmal in der Woche kommt und ihm in der Bibliothek hilft – Vater vergißt, die Bücher
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