Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Ryan hatte noch nie in einem Sarg schlafen wollen, auch nicht in einem großen, und wenn er zu solch unmöglichen Zeiten wie 3.53 Uhr kurz aufwachte, wollte er irgendeine Art von Licht durch das Fenster scheinen sehen, und seien es nur die Hecklichter eines Polizeiautos oder eines einsamen Taxis. Er hatte im Laufe der Jahre die Gewohnheit angenommen, früh aufzuwachen. Das wunderte ihn. Als Junge hatte er immer gern lang geschlafen, vor allem an den Wochenenden. Aber Cathy war, wie die meisten Ärzte und vor allem die meisten Chirurgen, genau das Gegenteil gewesen: eine Frühaufsteherin, die möglichst bald ins Krankenhaus kommen wollte.
Vielleicht hatte er es also von ihr übernommen. Vielleicht war es aber auch nur eine Gewohnheit, die er erst vor kurzem an diesem bescheuerten Ort angenommen hatte, dachte Ryan, während er aufstand und ins Bad tappte, um einen weiteren Tag in Angriff zu nehmen. Was war nur los mit ihm?, fragte sich der Präsident. Woran lag es, dass er nicht mehr so viel Schlaf brauchte? Herrgott noch mal, Schlaf war eins der wenigen ungetrübten Vergnügen, die einem heute auf Erden noch blieben…
Aber er bekam es nicht. Es war kurz vor sechs Uhr morgens. Milchmänner waren bereits auf, und auch Zeitungsausträger. Postangestellte arbeiteten schon in ihren Sortierräumen, und anderswo machten sich Leute, die in der Nacht gearbeitet hatten, langsam auf den Weg nach Hause. Dazu gehörten auch eine Menge Menschen hier im Weißen Haus: Wachpersonal des Secret Service, Hauspersonal, einige Leute, die Ryan vom Sehen kannte, aber nicht namentlich, weshalb er sich etwas schämte. Dann waren da die Uniformierten im Military Office des Weißen Hauses, die bei Insidern Wham-o hießen und das Kommunikationsbüro ergänzten. Es gab tatsächlich eine kleine Armee von Männern und Frauen, die nur dazu da waren, um John Patrick Ryan zu dienen – und mit ihm dem Land als Ganzen. Was soll’s, dachte Ryan, während er aus dem Fenster sah. Es war hell genug, um etwas zu erkennen. Ryan zog seinen alten Naval-Academy-Bademantel an, schlüpfte in seine Pantoffeln – er hatte sie erst kürzlich bekommen, zu Hause ging er nur barfuß, aber ein Präsident konnte das schlecht vor seinen Truppen tun, oder? – und trat leise in den Flur hinaus.
Nicht weit von der Schlafzimmertür entfernt musste es eine Art Wanze oder Bewegungsmelder geben, dachte Ryan. Er schaffte es nie, jemanden zu überraschen, wenn er unerwartet auf den Gang im Obergeschoß hinaustrat. Die Köpfe schienen immer in seine Richtung gewandt zu sein, und wie jeden Morgen entbrannte der übliche Wettstreit, wer ihn zuerst grüßen würde.
Diesmal trug ein Angehöriger der Secret-Service-Truppe, der Leiter der Nachtmannschaft, den Sieg davon. Andrea Price-O’Day war noch zu Hause in Maryland, wahrscheinlich fertig angezogen und auf dem Weg zur Tür, um die stundenlange Fahrt nach Washington anzutreten – was für dämliche Arbeitszeiten diese Leute seinetwegen hatten, rief sich Ryan in Erinnerung. Und mit ein bisschen Glück käme sie – wann nach Hause? Heute Abend? Das hing von seinem Tagesablauf ab, und er konnte sich nicht erinnern, was heute alles anstand.
»Kaffee, Boss?«, fragte ein junger Secret-Service-Mann.
»Wäre nicht schlecht, Charlie.« Gähnend folgte Ryan dem Mann. Er landete in der Secret-Service-Wachstation für diese Etage, eigentlich nur eine Besenkammer, mit einem Fernseher und einer Kaffeekanne – wahrscheinlich vom Küchenpersonal bereit gestellt – und ein paar Keksen, die dem Wachpersonal durch die Nacht halfen.
»Wann hat Ihr Dienst angefangen?«, fragte Ryan.
»Um elf, Sir«, antwortete Charlie Malone.
»Langweiliger Dienst?«
»Könnte schlimmer sein. Wenigstens bin ich nicht mehr in Omaha stationiert.«
»Allerdings«, pflichtete ihm Joe Hilton bei, ein anderer junger Secret-Service-Mann, der für die Nachtschicht eingeteilt war.
»Sie haben bestimmt Football gespielt«, bemerkte Ryan.
Hilton nickte. »Linebacker, Sir. Florida State University. Um Profi zu werden, war ich aber nicht groß genug.«
Nur etwa zwei Zentner und kein Gramm Fett, dachte Ryan. Special Agent Hilton sah aus wie eine Naturgewalt.
»Da ist es wesentlich vernünftiger, Baseball zu spielen. Man verdient gut, arbeitet fünfzehn Jahre, vielleicht sogar länger, und ist am Ende noch gesund.«
»Na ja, vielleicht trainiere ich meinen Jungen, dass er mal Outfielder wird«, sagte Hilton.
»Wie alt ist er?«, erkundigte sich Ryan, der
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