Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Versager in all seinen Unternehmungen … außer in der Demagogie. Darin war er ein verdammtes Genie gewesen.
Aber warum hatte Hitler sich derart vom Hass leiten lassen, dass er die industrielle Kraft seines Landes nicht ausschließlich für seinen ›Endsieg‹ eingespannt hatte (was an sich schon schlimm genug gewesen wäre), sondern für das niedrige Ziel kaltblütiger Vernichtung? Jack war sich bewusst, dass diese Frage an eines der größten Rätsel der Geschichte rührte. Einige behaupteten, Hitler habe die Juden gehasst, weil ihm in Wien auf der Straße einmal ein Jude begegnet sei, den er sofort unsympathisch gefunden habe. Ein anderer Experte auf diesem Gebiet, selbst Jude, mutmaßte, dass sich der verhinderte österreichische Maler bei einer jüdischen Prostituierten den Tripper eingefangen hatte, aber es gab keinerlei Dokumente, auf die sich eine solche These hätte stützen können. Eine weitere Lehrmeinung war noch zynischer. Sie besagte, dass die Juden Hitler im Grunde egal gewesen seien, er jedoch ein Feindbild gebraucht habe, mit dessen Hilfe er sich zum Führer Deutschlands aufschwingen konnte. Und die Juden hätten sich nun einmal gerade angeboten. Gegen sie ließ sich das Volk trefflich mobilisieren. Ryan hielt diese Theorie zwar für unwahrscheinlich, aber sie erschien ihm die abstoßendste von allen. Aus welchem Grund auch immer, Hitler und seine Komplizen hatten die Macht, die ihnen ihr Land verliehen hatte, für ihre eigenen Zwecke missbraucht und seinen Namen damit für alle Zeiten mit einem Fluch belegt. Aber das war kein Trost für die Menschen, die hier gestorben waren. Der Chef von Ryans Frau am Johns Hopkins war ein jüdischer Arzt namens Bernie Katz und seit vielen Jahren ihr Freund. Wie viele Männer wie er waren an diesem Ort ungekommen? Wie viele zukünftige Jonas Salks? War unter ihnen vielleicht der ein oder andere Einstein gewesen? Und Dichter, Schauspieler, einfache Arbeiter, die ganz normale Kinder großgezogen hätten …
… und als Jack den Amtseid auf die Verfassung der Vereinigten Staaten ablegte, hatte er damit auch gelobt, Menschen wie jene zu schützen. Hatte er als Mensch, als Amerikaner und als Präsident der Vereinigten Staaten nicht die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholte? Er glaubte fest daran, dass der Einsatz von bewaffneter Gewalt nur gerechtfertigt war, wenn es darum ging, Amerikaner und amerikanische Sicherheitsinteressen zu schützen. Aber war das alles, was Amerika ausmachte? Wie stand es um die Grundsätze, aus denen seine Nation erwachsen war? Bezog Amerika die etwa nur auf spezielle, begrenzte Orte und Ziele? Was war dann mit dem Rest der Welt? Waren dies hier nicht die Gräber von Menschen ?
John Patrick Ryan blieb stehen und blickte sich um, mit einem Gesicht, das so leer wirkte, wie er sich innerlich gerade fühlte. Er versuchte zu verstehen, was hier geschehen war, und was er daraus lernen konnte – lernen musste . Im Weißen Haus ging er jeden Tag mit einer unglaublichen Machtfülle um. Wie sollte er sie gebrauchen? Wie sie anwenden? Wogegen sollte er kämpfen? Und – was viel wichtiger war – wofür sollte er kämpfen?
»Jack«, sagte Cathy leise und berührte seine Hand.
»Ja, ich habe auch genug gesehen. Lass uns von diesem Ort verschwinden, und zwar schnell.« Er wandte sich an den polnischen Beamten, dankte ihm für Worte, die er kaum gehört hatte, und machte sich auf den Weg zurück zum Wagen. Noch einmal gingen sie unter dem schmiedeeisernen Tor, diesem Monument der Lüge, hindurch – sie taten, was zwei oder drei Millionen Menschen verwehrt geblieben war.
Wenn es Geister gab, dann hatten sie zu Ryan gesprochen. Nicht mit Worten, aber mit einer Stimme: Nie wieder . Und Ryan stimmte schweigend zu. Nicht, solange er lebte. Nicht, solange Amerika existierte.
46
HEIMREISE
Sie warteten auf SORGE. Selten war etwas mit größerer Spannung erwartet worden, nicht einmal die Ankunft eines erstgeborenen Kindes. Eine gewisse Dramatik spielte hinein, denn SORGE erschien nicht jeden Tag, und nicht immer konnten sie ein Muster darin erkennen, wann geliefert wurde und wann nicht.
Ed und Mary Pat Foley wachten beide früh am Morgen auf, und da sie nichts zu tun hatten, blieben sie noch mehr als eine Stunde im Bett liegen. Schließlich standen sie auf, um in der Küche ihres Mittelklasse-Hauses in einem Vorort irgendwo im Staat Virginia ihren Morgenkaffee zu trinken und die Zeitungen zu lesen. Nachdem die
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