Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
verhörten. »Er gab mir 50 Euro.« Das war nur angemessen dafür, dass er eine halbe Stunde ihrer wertvollen Zeit verplempert hatte, fand sie.
»Sonst noch etwas? Sah er krank aus?«
»Er hat behauptet, das Essen würde ihm auf einmal Probleme bereiten. Ich habe mich gefragt, ob er kalte Füße gekriegt hat, wie das bei einigen Männern so ist – aber nein, der nicht. Der ist ein Mann mit hohem Niveau. Das merkt man immer sofort.«
»Na gut. Danke, Jelena. Falls er Sie anruft, lassen Sie es uns bitte wissen.«
»Sicher doch.« Die Befragung war absolut schmerzlos vonstatten gegangen – was sie ziemlich überrascht hatte –, und daher zeigte sie sich kooperativ. Sie fragte sich, in was zum Teufel sie da hineingeraten war. Eine Verbrecherjagd? Vielleicht ein Drogendealer? Wenn er sich bei ihr meldete, würde sie diese Leute hier anrufen – und dann zur Hölle mit ihm. Das Leben war schon schwer genug für eine Frau in ihrem Geschäft.
»Er sitzt am Computer«, sagte einer der Elektronikspezialisten im Hauptquartier des FSS. Er konnte Suworows Tastaturanschläge mittels der Wanze in seinem Keyboard verfolgen. Die Anschläge erschienen nicht nur auf seinem Bildschirm, sondern wurden auch sofort auf einem Duplikat von Suworows Computer ausgeführt. »Moment, hier kommt der Klartext. Er hat die Nachricht erhalten.«
Es folgte eine Minute nachdenklichen Schweigens, dann tippte Suworow weiter. Er rief sein E-Mail-Programm auf und begann, Mitteilungen zu verfassen. Alle enthielten eine Variante des Satzes ›Kontaktiere mich so schnell wie möglich‹. Das verriet den Männern vom FSS, was er vorhatte. Insgesamt verschickte er vier E-Mails, und bei einer von ihnen deutete alles darauf hin, dass sie an eine oder mehrere andere Personen weitergeleitet werden sollte. Danach loggte Suworow sich aus und fuhr seinen Rechner runter.
»Und jetzt wollen wir doch mal sehen, ob wir seine Brieffreunde identifizieren können«, sagte der leitende Ermittler zu seinen Mitarbeitern. Es dauerte gerade einmal 20 Minuten. Was sie einmal als Routine und stumpfsinnige Plackerei empfunden hatten, war auf einmal so aufregend wie das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft.
Das Aufklärungsflugzeug vom Typ Miasischtschew M-5 hob kurz vor Morgengrauen von Taza ab. Als russische Version der ehrwürdigen Lockheed U-2 kam sie 40 Jahre zu spät und sah mit ihren zwei Triebwerken ziemlich seltsam aus. Sie flog in 21000 Metern Höhe mit der beschaulichen Geschwindigkeit von ungefähr 500 Knoten und schoss jede Menge Fotos in hoher Auflösung. Der Pilot war ein erfahrener Major der russischen Luftstreitkräfte und hatte den Befehl, sich der chinesischen Grenze höchstens bis auf zehn Kilometer zu nähern, um die potenziellen Feinde seines Landes nicht zu provozieren. Dieser Befehl war allerdings nicht so leicht auszuführen, denn Ländergrenzen verlaufen nur selten geradlinig. Also programmierte der Major sorgfältig seinen Autopiloten und lehnte sich zurück, um die Instrumente zu überwachen, während die Kamerasysteme die wirkliche Arbeit erledigten. Sein wichtigstes Instrument war der Radarwarnempfänger, eine Art Funkabtaster, der auf die von Radarsendern ausgehende Energie eingestellt war. Entlang der Grenze gab es viele solcher Sender, von denen die meisten ihre Signale auf niedrigen bis mittleren Frequenzen aussandten. Doch dann erschien auf einmal ein neuer Sender auf dem X-Band. Er kam von Süden, und das bedeutete, dass eine chinesische Boden-Luft-Lenkwaffenbasis die M-5 mit ihrem Radar erfasst hatte. Das erregte in der Tat die Aufmerksamkeit des Majors, denn obwohl er höher flog als jedes gewöhnliche Verkehrsflugzeug und viele Jagdflieger, konnte ein Boden-Luft-Flugkörper ihn sehr wohl erreichen. Ein amerikanischer Pilot namens Francis Gary Powers hatte dies einmal feststellen müssen, als er über Zentralrussland flog. Jagdflugzeuge waren in der Lage, Boden-Luft-Lenkwaffen auszumanövrieren, aber die M-5 war kein Jäger und hatte schon Schwierigkeiten damit, an einem windstillen Tag eine Wolke zu umfliegen. Daher behielt der Major die Skala des Radarwarners genau im Auge, während seine Ohren das schrille Piep-Piep des akustischen Alarms registrierten. Die Impulswiederholungsrate auf der visuellen Anzeige ließ darauf schließen, dass sich das Radar eher im Such- als im Aufschalt-Modus befand. Also flog wahrscheinlich gerade keine Rakete durch die Luft. Außerdem war die Sicht so gut, dass er die Rauchwolke gesehen
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