Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
angesehen? War er zu wenig Kapitalist oder zu viel? Fangs analytisches Verständnis reichte einfach nicht aus, um das Wirken der amerikanischen Medien zu durchschauen. Aber immerhin vermochte er zu verstehen, was sie sagten, und das konnten die ›Experten‹ des MSS-eigenen Instituts für amerikanische Studien nicht immer von sich behaupten. Mit diesem Gedanken steckte sich Fang eine weitere Zigarette an und lehnte sich im Sessel zurück.
Ein Wunder, dachte Prowalow. Die Zentrale Personal-Registratur der russischen Bodenstreitkräfte hatte die Unterlagen mit den Fingerabdrücken und Fotos der beiden in St. Petersburg aufgetauchten Leichen erhalten und bearbeitet, doch das Ergebnis der Recherche war nicht etwa Abramow und Ustinow zugeschickt worden, sondern ihm – vielleicht deshalb, weil er den Namen Sergei Golowko ins Spiel gebracht hatte. Der Lubjanka-Platz inspirierte gewisse Beamte immer noch dazu, ihre Arbeit besonders pünktlich zu tun. Die Kollegen in St. Petersburg würden allerdings auch und zwar postwendend über die Namen und persönlichen Daten der beiden Toten in Kenntnis gesetzt werden. Die Dokumente und Lichtbilder, die Prowalow vorlagen, waren schon fast 20 Jahre alt und zeigten junge, emotionslose Gesichter. Ihre Militärakten waren beeindruckend. Pjotr Alexeiewitsch Amalrik und Pawel Borissowitsch Zimjanin hatten sich einst als Elitesoldaten hervorgetan. Gescheit, durchtrainiert, verlässlich und politisch auf Linie, wie sie waren, hatten sie sich die Zulassung zur Spetsnaz-Schule erworben. Beide hatten in Afghanistan gekämpft – und überlebt, was für Soldaten der Spetsnaz eher unwahrscheinlich gewesen war, weil sie in diesem dreckigen Krieg die dreckigsten Aufgaben hatten. Nach dem Krieg hatten sie sich nicht neu verpflichtet, was nicht ungewöhnlich war. Die wenigsten hatten sich zur Sowjet-Armee zurückgemeldet. Amalrik und Zimjanin waren ins Zivilleben zurückgekehrt und hatten Arbeit in einer Fabrik am Rande der Stadt angenommen, die damals noch Leningrad hieß. Doch dieses Leben wurde ihnen anscheinend bald zu langweilig. Prowalow vermutete, dass sie deshalb auf Abwege geraten waren. Aber mit diesen Fragen mochten sich die St. Petersburger Kollegen befassen. Er nahm einen Laufzettel aus der Schublade und befestigte ihn mit einem Gummiband an den Akten, um sie mit dem Kurier nach St. Petersburg bringen zu lassen, damit auch Abramow und Ustinow was zu lesen hatten.
»Ein Mr. Sherman, Herr Minister«, meldete sich Winstons Sekretärin in der Gegensprechanlage. »Auf Leitung drei.«
»Hallo, Sam«, sagte der Finanzminister, den Hörer am Ohr. »Worum geht’s?«
»Um unser Ölfeld im Norden«, antwortete der Präsident von Atlantic Richfield.
»Gute Neuigkeiten?«
»Das kann man so sagen. Laut Auskunft unserer Leute ist das tatsächliche Vorkommen rund 50 Prozent größer als die erste Schätzung.«
»Und wie verlässlich ist diese Information?«
»So verlässlich wie Ihre Telefonabrechnung, George. Mein erster Mann vor Ort ist Ernie Beach. Er kennt sein Metier so gut wie Sie die Börse.« Vielleicht sogar besser , fügte Sherman im Stillen hinzu. Winston hielt große Stücke auf sich und war schnell beleidigt. Wahrscheinlich war der Nachsatz auch so angekommen.
»Ziehen Sie doch mal ein Resümee für mich«, sagte Winston.
»Wenn das Öl aus diesem Feld fließt, werden die Russen imstande sein, ganz Saudi-Arabien, plus Kuwait und halb Iran aufzukaufen. Dagegen machen sich die Fördermengen in Texas aus wie ein Furz im Tornado. Mit anderen Worten: Das ist ein ganz großes Ding, George.«
»Und wie steht’s mit der Förderung?«
»Wird nicht leicht sein und schon gar nicht billig. Aus technischer Sicht dürfte es allerdings kaum Probleme geben. Falls Sie einen guten Tipp brauchen: Kaufen Sie Aktien einer russischen Firma, die winterfeste Kleidung herstellt. Im Laufe der nächsten Jahre wird da oben sehr viel gearbeitet werden.«
»Okay, und wie schätzen Sie die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft ein?«
»Schwer zu sagen. Es wird acht bis zwölf Jahre dauern, bis das Feld fertig erschlossen ist, und die schiere Menge an Rohöl, die dann frei wird, wird auf dem Markt für Turbulenzen sorgen. Wir haben noch keine genauen Berechnungen angestellt, aber die Zahlen sind riesig. Sie liegen in einer Größenordnung von 100 Milliarden Dollar pro Jahr.«
»Für wie lange?« Winston glaubte das Achselzucken am anderen Ende der Leitung hören zu können.
»Zwanzig Jahre,
Weitere Kostenlose Bücher