Im Zeichen des großen Bären
Kumpels. Jedem Menschen würde es doch auch so ergehen. Daß Kitchener glücklich sei, das könne jedes Kind erkennen. Die Direktion des Zoos war ihr richtig dankbar.
Allmählich verschwand Kitchener wieder aus den Nachrichten, wie es immer so geht. Sein Leben normalisierte sich wieder. In der schönen Jahreszeit war er draußen. Auch im Winter liebte er die frische Luft.
Mr. Bear hatte bereits sein Frühstück drinnen hingestellt, wenn der neue Tag begann. Jeder Petz hatte seine eigene Futterstelle, und da hielt man sich streng ans Reglement. Eigentlich hätte Mr. Bear nun den Schieber nach draußen schließen müssen, um in aller Ruhe auf dem Gelände sauber machen zu können. Doch das tat er nicht. Er ging vielmehr furchtlos zwischen seinen Bären umher. Sicher, es hatte in anderen Zoos schwere Unfälle gegeben, weil der Wärter seine Gefährdung unterschätzt hatte. Doch Mr. Bear war überzeugt: Er kannte sein Völkchen genau. Wenn allerdings Mr. Brady oder ein anderes leitendes Mitglied des Zoos erschien, dann wurde selbstverständlich alles ganz vorschriftsmäßig gehandhabt. Die Herren schmunzelten, und Mr. Bear gestattete sich auch ein winziges Grinsen. Bescheid wußten alle, aber die Form mußte gewahrt bleiben.
Immer hatte Mr. Bear auch frisches Wasser hingestellt. Sonderbarerweise tranken die Bären jedoch lieber aus dem Wassergraben, schlürften behaglich das etwas schmuddelige Naß, anstatt das hygienisch einwandfreie Wasser aus dem Napf zu saufen. Sie mochten Wasser lieber als Bach oder Fluß, das stak ihnen noch von ihren Ahnen her in den Knochen. Wenn Kitchener ein bißchen ausruhen wollte, zog er sich gern in seine Schlafhöhle zurück, wo er sich gemütlich zusammenrollte und selig pennte, träumte, ein wenig grunzte und dem Urbild eines schmusigen Kinderzimmerteddys recht ähnlich war.
Doch wehe, eine der Bärendamen hätte sich in seiner Höhle gemütlich einrichten wollen! Es wäre vielleicht das Ende ihrer Tage gewesen. Auf jeden Fall hätte der Tierarzt Arbeit bekommen. Denn sein Revier bewachte und verteidigte Kitchener leidenschaftlich.
Wenn er schon kein gewaltiges Jagdgebiet sein eigen nennen durfte, so wollte er wenigstens sein kleines, eigenes Reich haben. Zum Glück ging es den Bärinnen im allgemeinen genauso. Deshalb kamen sie sich selten in die Quere. Abgesehen natürlich von Roses und Kitcheners leidenschaftlicher Romanze, die im Mai begann und im Juni vergangen war mit dem milden Sommerwind.
Am Ende ihrer kurzen Winterruhe, im Januar, bekam Rose ihre drei Bärchen. Sie sahen allerdings eher wie nackte Ratten aus. Aber das machte nichts. Rose zeigte sie ohnehin nicht herum, sondern hielt sie streng abgeschieden unter Aufsicht. Noch waren sie hilflos.
Doch nach drei Monaten war es soweit: Rose machte mit ihrem und Kitcheners Nachwuchs den ersten Ausflug in die warme Frühlingssonne.
Drei drollige Kugeln wuselten hinter der Mama her und waren so rund und babyhaft, daß sie nur immer zum Knuddeln und Streicheln einluden.
Das jedoch hätte Rose nie gestattet. Im Gegenteil: Sie bewachte ihre Babies eifersüchtig. Selbst Mr. Bear kam nicht an sie heran.
Rose war vor der Niederkunft bereits abgesondert worden. Sie hatte nun ein Jahr lang ihr eigenes Areal, denn wenn sie auf einen anderen Bären gestoßen wäre, vielleicht gar auf Kitchener, den Vater ihrer Kinder, hätte sie sofort und blindlings angegriffen. Und Kitchener, der starke Kerl, hätte sie getötet. Und die Jungen auch.
Er war ein ziemlich gutmütiger Bursche, in Gefangenschaft aufgewachsen, erprobt in Kameradschaft mit Menschen. Doch seine Natur blieb ungebrochen. In Grenzsituationen regten sich die Urinstinkte. Dann wurde er zum Kämpfer. Mit Behagen fraß er im Zoo seine Pflanzenkost-Menüs, verdrückte Gemüse, Obst, ein bißchen Gras, Brot und Brötchen und die leckeren Desserts.
Ohne Schwierigkeiten hätte er jedoch auch jederzeit ein Tier reißen können, wenn's ihm nötig erschienen wäre. Er war angepaßt, aber nicht wirklich gezähmt.
So kam es, daß Kitchener seine Sprößlinge niemals zu Gesicht bekam. Der Tag, an dem er erstmals Vater wurde, war für ihn ein Tag wie jeder andere.
Nicht so für das 159. Infanterieregiment von Ontario. Dort gab es nach Erhalt der Nachricht in der Kantine Freibier. Auf den Gebäuden der Kaserne wurde die kanadische Flagge gehißt. Es gab verlängerten Ausgang bis zum Morgen. Alle Soldaten trugen ihre gebürstete Ausgehuniform mitsamt den gewienerten Schuhen. Der Tag ging
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