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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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das Lager eine unheimliche Sprache hören, und zuweilen zeichneten sich seltsame Schatten am Rande der Lichtung ab. Die Pferde waren unruhig; ihre Ohren spielten und sie sogen mit geblähten Nüstern die Luft ein. Ich kniete neben Iri auf einem seidenen Kissen. Trotz der Kälte klebte mein Körper vor Schweiß. Ich wusste, irgendetwas würde geschehen; und ich würde begreifen, warum mein Herz voller Angst, Verzweiflung und Schatten war. Die Flammen leuchteten auf Seidenstoffen und Harnischen, auf Schalen und Kelchen.
    Das Fleisch wurde geschnitten. Wie üblich bei den Tungusen, war das Fleisch nur kurz von außen gegrillt, während es im Innern fast ganz roh blieb. Iri schlang die Bissen gierig herunter. Das Blut tropfte von seinen Fingern und das Fett zischte im Feuer. Mir würgte es in der Kehle: Ich gab das Fleisch unberührt zurück.
    Durch den Rauchschleier sah ich Susanoo regungslos mir gegenüber sitzen. Er hielt das Sternenschwert auf dem Schoß. Die goldenen Ketten seiner Rüstung funkelten bei jedem Atemzug. Auch er hatte das Fleisch zurückgewiesen. Unsere Blicke trafen sich, mieden sich und suchten sich dann wieder in geheimer, stummer Zwiesprache.
    Später ruhte ich dann unter dem Zeltdach. Iri lag neben mir und streichelte meinen Arm. »Morgen sind wir in Ikoma«, sagte er. »Hunderte von toten Ainu werden dir zu Füßen liegen und die Siegesfeuer werden die Zelte erleuchten …«
    Ich schwieg und er lachte. Seine weißen Zähne glitzerten in der Dunkelheit. Seine Hände streichelten meine Schultern. Ich lag bewegungslos und in mir rieselte der Schmerz wie Blut aus einer offenen Wunde. Und dann schlief er ein, und ich starrte mit weit offenen Augen ins Leere, bis die Schatten verblassten und Tau den Waldboden benetzte …
    Der Tag erwachte in Dunstschleiern. Die aufgehende Sonne schimmerte wie stumpfes Silber hinter der Wolkendecke. Kein Lufthauch regte sich; es war drückend heiß. Die Standarten hingen schlaff am Eisen der Lanze. Männer und Pferde schwitzten unter den Harnischen. Von einer Anhöhe aus betrachteten wir das Gelände. Die schwarzen Tannen gaben den Hügeln das unnatürliche, gespenstische Aussehen geduckter Riesentiere. Es war unheimlich still. Kein Vogel sang. Kein Zweig, kein Blatt regte sich an den Bäumen. Es war ein lähmendes, geheimnisvolles Schweigen, als ob Himmel und Erde gleichsam den Atem anhielten. Das gedämpfte Aufschlagen der Hufe, das Klirren des Zaumzeugs hallten in meinem Kopf. Das Blut pochte in meinen Schläfen; das kleinste Geräusch ließ mich zusammenschrecken. Ich kannte dieses Gefühl: Das, was wir »Zeichen« nennen, war nichts anderes als die genaue, fast unbewusste Beobachtung geringfügiger Einzelheiten, aus denen sich nach und nach die Vorahnung bildete.
    Neben mir ritt Susanoo. Seine Augen spähten mit gespannter Aufmerksamkeit in die Ferne. Ich wollte mit ihm sprechen, aber meine Kehle war wie ausgetrocknet. Ich kämpfte gegen die Furcht, die meinen Körper erzittern ließ. Ich schwankte im Sattel. Susanoo warf mir einen raschen Blick zu. Er zügelte sein Pferd, führte es nahe an mich heran und stützte mich, während unsere Tiere Flanke an Flanke weitergingen. Ich drückte den Kopf an seine Schulter, vergrub mein glühendes Gesicht in den Falten seines Mantels.
    Â»Was hast du?«, fragte er leise.
    Â»Eine Warnung!«, stieß ich hervor. »Ich spüre eine Warnung in mir.«
    Sein Atem streifte mein Haar. »Ja«, erwiderte er düster, »sie hängt über uns wie der Schatten eines Berges …«
    Die Vorhut sprengte einen Hügel hinauf. Oben angekommen schwenkten sie ihre Lanzen und jagten über den Hang zurück: Sie hatten nichts Verdächtiges gesichtet. Das Heer zog weiter.
    Iri gab einen Befehl: »Man lasse den Adler frei!«
    Der Wärter löste die Kette. Mit mächtigem Flügelschlag schwang sich der Raubvogel über die Truppen hinweg in die Höhe. Eine Luftströmung erfasste ihn, und er begann, über den Hügeln zu kreisen. Bald war er nur noch ein schwarzer Punkt am Himmel. Eine Weile verharrte er unbeweglich. Und plötzlich - völlig unerwartet - faltete er die Schwingen, stürzte wie ein Pfeil aus schwindelnder Höhe auf die Tannen nieder.
    Iri wandte sich an den Wärter mit ärgerlichem Stirnrunzeln. »Er hat Beute geschlagen! Hast du ihm nicht genügend

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