Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Überwachungschef von Brage Håkonsens bisheriger Rolle im Fall Volter. In nur sieben Minuten hatte er die ganze Geschichte erzählt: von dem abgestürzten Flugzeug, wobei man noch immer nicht wußte, ob es sich um eine gegen Göran Persson gerichtete Sabotage-Aktion gehandelt hatte, von Tage Sjögrens Abstecher nach Norwegen zu diesem kritischen Zeitpunkt, und von Brage Håkonsens ziemlich beeindruckendem Waffenlager und den ausgearbeiteten Plänen für sechzehn namentlich genannte wichtige Personen der norwegischen Öffentlichkeit. Am Ende seufzte er laut und fügte hinzu:
»Ich würde den Kerl gern als schwärmerischen Trottel abschreiben. Meine Leute halten ihn für zu feige, um wirklich einen Mord zu begehen. Er hätte sich bei seiner Festnahme freischießen können, schließlich befand er sich in Reichweite von Waffen, die für eine beachtliche Einsatztruppe gereicht hätten. Aber er hat sich nicht getraut. Dennoch …«
Wieder erhob er sich, jetzt mit steifen Bewegungen. Alle waren erschöpft, die Besprechung dauerte nun fast schon drei Stunden, und die meisten sehnten sich nach Kaffee und einer Zigarette.
»Er behauptet zu wissen, wer es war. Und er scheint auch zu wissen, wovon er da redet.«
Hermansen berichtete, daß Brage Håkonsen bis ins Detail schildern konnte, wie die Tatwaffe zur Polizei gelangt war.
»Dann weiß er mehr als wir«, rief Tone-Marit. »Wir haben stundenlang vor dem Video aus der Hauptpost gesessen und konnten einfach nichts von Interesse finden. Wenn die da schon Videoaufnahmen machen, dann sollten sie auch dafür sorgen, daß sie von brauchbarer Qualität sind.«
»Håkonsen behauptet also, den Mörder zu kennen. Aber er möchte einen Tauschhandel abschließen.«
»Einen Tauschhandel?«
Die Generalstaatsanwältin hatte bisher noch nicht einmal den Mund aufgemacht. Jetzt funkelten ihre Augen hinter den dicken Brillengläsern.
»Wir sollen ihn laufenlassen, damit er uns den Namen nennt? Kommt nicht in Frage.«
»Wir haben ihm schon zu verstehen gegeben, daß das hierzulande nicht üblich ist«, sagte der Überwachungschef trocken.
»Aber ein Mord an einer Ministerpräsidentin ist auch nicht gerade alltäglich«, murmelte Billy T., der jedoch keine Lust hatte, sich mit der Generalstaatsanwältin anzulegen. Aus bitterer Erfahrung wußte er, daß das nichts brachte.
»Na, machen wir eine halbe Stunde Pause«, erklärte der Polizeipräsident. »Und danach planen wir unser weiteres Vorgehen. Ich glaube, es wäre vernünftig, die Gruppen von Billy T. und Tone-Marit Steen zusammenzulegen.«
»Super«, jubelte Billy T. und drückte Tone-Marit einen Schmatz auf die Wange.
»Eine halbe Stunde«, wiederholte der Polizeipräsident. »Und keine Minute länger.«
»Manchmal bist du wirklich verflixt kindisch, Billy T.«, sagte Tone-Marit Steen wütend.
Dann wischte sie sich demonstrativ die Wange ab.
12.30, Büro des Ministerpräsidenten
Sie fand einfach keine Ruhe. Seit elf Jahren arbeitete sie im Büro der Ministerpräsidentin, und sie lebte ein Leben, das ihren Verpflichtungen entsprach. Es war ruhig und nüchtern, ohne Ausschweifungen und mit einem ungewöhnlich kleinen Freundeskreis. Im Laufe der Jahre hatten viele versucht, sie auszuhorchen, Fremde, Bekannte und einige Presseleute, aber sie wußte, wie sie sich zu verhalten hatte. Ihre Position hatte ihren Ehrenkodex. Und wenn auch alle anderen ihre altmodischen Normen aufgaben, wollte sie ihren Idealen treu bleiben.
Die Zweifel waren kaum zu ertragen gewesen. Seit Tagen hatte sie sich den Kopf zerbrochen, ohne die richtige Lösung zu finden. Sie wußte nicht mehr, was ausschlaggebend für ihre Entscheidung gewesen war. Vielleicht die aufrichtige Verzweiflung und Ratlosigkeit ihrer Freundin. Aber vor allem wohl die Gewißheit, daß das Vergehen, das sie verriet, viel schlimmer war als die Indiskretion, die sie beging, wenn sie sich dem Ministerpräsidenten anvertraute.
Tryggve Storstein war hellhörig und entgegenkommend gewesen, er hatte sich bei ihr mit einer Freundlichkeit bedankt, die einen scharfen Kontrast zu seiner resignierten, fast traurigen Miene bildete. Rückwärts war sie aus der Tür gegangen und hatte noch immer nicht gewußt, ob sie sich richtig verhalten hatte.
Sie mochte den neuen Ministerpräsidenten. Natürlich konnte sie das noch nicht ganz sicher sagen, außerdem wollte sie gar nicht bewußt darüber nachdenken, ob sie ihren Chef gern hatte oder nicht. Aber es war unmöglich, sich in seiner
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