Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Strichen zusammen. Ein leises Kätzchengejammer ertönte, ihre Lippen verzogen sich und zitterten unzufrieden. Ihre Haut war von roten Flecken übersät, ihr Gesicht asymmetrisch, vor ihren Ohren wuchs rötlicher Haarflaum. Die Fontanelle – die viel zu offen aussah – pochte rasch und rhythmisch, es war geradezu beängstigend.
»Ist sie nicht wunderbar?« flüsterte Karen Borg. »Ist sie nicht das hübscheste Kind, das du je gesehen hast?«
»Doch«, log Hanne Wilhelmsen. »Sie ist reizend. Alle Babys sind reizend.«
»Sind sie überhaupt nicht«, widersprach Karen Borg, noch immer flüsternd. »Hast du den kleinen Jungen dahinten gesehen? Der sieht aus wie … ein Affe.«
Karen kicherte, mußte sich aber die Tränen abwischen, die aus ihrem linken Auge quollen.
»Tut mir leid, daß ich allein komme«, sagte Hanne. »Håkon ist im Gericht, und es ist so verdammt wichtig, daß dieser Haftbefehl erlassen wird. Er kommt sofort, wenn sie fertig sind. Er hat versprochen …«
»Hier«, fiel Karen ihr ins Wort und hielt der Kommissarin das kleine Baumwollpaket mit dem vierundzwanzig Stunden alten Baby hin. »Fühl mal, wie wunderbar sie ist.«
»Nein, nein«, sagte Hanne Wilhelmsen, aber das half nichts. Karen wirkte nicht stark genug, um das Kind noch lange mit ausgestreckten Armen zu halten.
Es war wirklich nicht hübsch. Hanne schmiegte vorsichtig, ohne es zu wollen, ihr Gesicht an das der Kleinen. Es roch wunderbar. Ein guter, süßer Duft, der bei Hanne eine Gänsehaut auslöste. Das Baby öffnete plötzlich die Augen, tiefe, farblose Brunnen ohne klar gezeichnete Iris.
»Sie sieht klug aus«, flüsterte Hanne. »Sie hat Augen wie meine Großmutter. Wie soll sie heißen?«
»Das wissen wir noch nicht. Wir können uns nicht einigen. Håkon möchte zwei Namen, wo Hans Wilhelm doch auch zwei hat, aber ich finde Doppelnamen für Mädchen nicht schön. Wir werden sehen.«
»Dyveke«, sagte Hanne leise und küßte federleicht die Stirn des Kindes; die Babyhaut kitzelte ihre Lippen. »Sie sieht aus wie eine Dyveke.«
»Wir werden sehen«, lachte Karen. »Setz dich doch.«
Hanne ließ sich vorsichtig auf der Bettkante nieder und gab das Kind seiner Mutter zurück.
»Wie war die Geburt – schlimm?«
»Kannst du sie bitte ins Bett legen?« fragte Karen und schnitt eine Grimasse. »Am Ende mußte dann doch ein Kaiserschnitt gemacht werden, und es tut so verdammt weh, wenn ich mich bücke.«
Hanne verstaute das Bündel vorsichtig in einer Plastikwanne auf hohen Beinen, an denen Räder befestigt waren.
»Sieht nicht sehr stabil aus«, sagte sie skeptisch. »Kaiserschnitt?«
»Ja, sie konnten die Herztöne nicht mehr hören.«
Sie weinte. Karen Borg weinte heftig. Und zwischendurch lachte sie wie zur Entschuldigung und versuchte, sich die Tränen abzuwischen. Aber die flossen nur so, und sie konnte sie einfach nicht zurückhalten.
»Ich begreife nicht, warum ich mich so anstelle, aber ich heule schon den ganzen Tag. Zum Glück habe ich mich zusammenreißen können, als meine Mutter vorhin mit Hans Wilhelm hier war. Er war so niedlich, er …«
Hanne stand auf und zog einen Wandschirm auf Rädern vor das Bett. Dann setzte sie sich wieder und nahm Hannes Hand.
»Dann heul doch einfach.«
»Ich bin so froh über deinen Besuch«, schniefte Karen. »Aber eigentlich müßte Håkon hier sein. Wir hätten sie doch fast verloren. Sie ist gesund und munter, und ich dürfte eigentlich nicht weinen, aber …«
Scheißwache, dachte Hanne. Hätten die nicht irgendeinen anderen Juristen schicken können? Sie stand wieder auf und ging zu einem Waschbecken neben der Tür. Darunter befand sich ein Regalfach mit Lappen, sie hielt einen unter das kalte Wasser und legte ihn dann auf Karens Stirn.
»Sie hätte sterben können«, flüsterte Karen. »Jetzt geht es ihr gut, aber sie hätte … wenn sie gestorben wäre, dann wäre das meine Schuld gewesen. Håkon wollte schon die ganze Zeit die Geburt einleiten lassen, aber ich … es wäre meine Schuld gewesen. Ich hätte es nicht ertragen …«
Der Rest des Satzes erstarb in heftigem Schluchzen, Karen legte die Hände auf den kalten Lappen und verbarg ihr Gesicht.
Hanne kam der Gedanke so schnell, daß sie sich abwenden mußte. Sie ließ ihren Blick auf dem kleinen Mädchen in seiner rosa Decke ruhen. Die Kleine schlief, und neben ihrem Kopf hielt ein kleines gelbes Kaninchen mit aufgerissenen Augen Wache.
So mußte auch Birgitte Volter empfunden haben. Am Johannistag
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