Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
fliege ich nun wie ein Vögelchen aus Spanien herbei, um meinen Goldbuben zu feiern, und dann bläst du Trübsal. Ben, jetzt komm zu uns. Komm zu Mutter. Das Kleid steht dir gut, Nina. Prachtvoll. Aber du hast ja immer schon Sinn für Farben gehabt.«
Sie stöckelte auf sieben Zentimeter hohen Absätzen durch die Küche und packte Benjamin am Arm. Er wich aus und sah sie nicht an.
»Gleich, Mutter. Ich komme gleich. Ich muß hier nur schnell noch was in Ordnung bringen. Sag den anderen, sie sollen sich schon mal setzen.«
Er drehte sich mit einer Salatschüssel in der Hand zu ihr um, überlegte sich die Sache dann aber anders und reichte Nina die Schüssel.
»Es ist einfach unvorstellbar entsetzlich«, sagte Benjamins Mutter, als die Kerzen brannten und das Essen herumgereicht wurde. »Die hübsche kleine Birgitte. Ja, ihr wißt natürlich, daß Ben und Birgitte Volter als Kinder unzertrennlich waren. Sie war ein süßes, wohlerzogenes Mädchen. Sie ging bei uns ein und aus. Das macht alles für Ben noch sehr viel schlimmer. Ben ist so sensibel, wißt ihr? Das hat er von seinem Vater. Kann ich dich zur Beerdigung begleiten, Ben? Sie ist doch jahrelang in meinem Haus ein- und ausgegangen. Wann und wo ist eigentlich die Trauerfeier? Im Dom, oder? Sie findet doch im Osloer Dom statt, nicht wahr?«
Sie hatte die Schüssel mit dem Kartoffelsalat gepackt und hob und senkte sie im Takt ihres Wortschwalls.
Benjamin Grindes Mutter sprach nicht, sie zwitscherte. Ihre Stimme war hauchdünn, ihre Stimmlage unnatürlich hoch. Und sie bestand darauf, Lerche genannt zu werden.
»Wir waren nicht unzertrennlich, Mutter. Und sie ist bei uns nicht ein- und ausgegangen. Sie war höchstens dreimal bei mir. Ich habe ihr ab und zu bei den Hausarbeiten geholfen.«
»Jetzt redest du Unsinn, Ben. Meinst du vielleicht, ich wüßte nicht, wer in meinem eigenen Haus ein- und ausgegangen ist? Was? Birgitte war eine … eine Hausfreundin, so würde ich das fast nennen. Und du warst begeistert von ihr. Fast sogar ein wenig verliebt, so war das nämlich, Ben.«
Sie zwinkerte Jon zu, der nicht mehr auf den Kartoffelsalat wartete und statt dessen im Fleisch herumstocherte.
»Aus den beiden könnte ein Paar werden, wie oft habe ich das zu meinem Mann gesagt. Nur schade, daß dieser … wie hieß er doch noch gleich, Ben? Birgittes Mann? Wie hieß er doch noch?«
»Roy Hansen«, murmelte Benjamin und versuchte, den Kartoffelsalat an sich zu reißen. Seine Mutter entfernte ihn aus seiner Reichweite und sagte:
»Roy, genau, ja. Roy. Schrecklicher Name. Wer nennt seine Kinder bloß so? Na, er war auch keine besonders gute Partie, wenn ihr mich fragt, und ich will ja nicht indiskret sein, wirklich nicht, ich habe auch keine Vorurteile, aber …«
Vertraulich beugte sie sich über den Tisch, fast hätte ihr Kinn den Kartoffelsalat berührt, während sie ihre Blicke verschwörerisch umherwandern ließ.
»Sie mußten heiraten!«
Entzückt ließ sie sich dann zurücksinken und gab Nina den Salat.
»Mutter!«
»Herrje! Da habe ich zuviel gesagt!«
Sie schlug die Hand vor den Mund und riß die Augen auf.
»Ben kann Klatsch nicht leiden. Entschuldige, Ben. Aber an einem solchen Tag wirst du deiner alten Mutter ein paar unbedachte Worte doch sicher verzeihen. Herzlichen Glückwunsch, mein Goldschatz. Herzlichen Glückwunsch!«
Sie hob ihr Glas so heftig, daß Rotwein auf die Tischdecke spritzte.
»Prost!« Die anderen lächelten und blickten das Geburtstagskind mitleidig an.
Das Telefon klingelte.
Als Benjamin Grinde aufstand, wurde ihm ganz plötzlich schwindlig. Er mußte sich auf die Stuhllehne stützen, und er preßte sich Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel und kniff die Augen zusammen.
»Was ist los, Benjamin?« fragte Nina besorgt und nahm seine Hand. »Ist dir nicht gut?«
»Alles in Ordnung«, sagte er leise und zog seine Hand zurück, um zum Telefon im Flur zu gehen.
Der Schwindel wollte sich nicht legen.
»Hier Grinde«, sagte er leise und schloß die Wohnzimmertür.
»Hallo! Hier spricht Liten Lettvik von der AZ. Tut mir leid, Sie so spät an einem Samstagabend noch zu stören, aber es herrscht schließlich Ausnahmezu …«
»Ich bin am Montag in meinem Büro zu erreichen.«
Der Hörer näherte sich der Gabel.
»Moment!«
Resigniert hob er ihn wieder an sein Ohr.
»Worum geht es denn?«
»Es geht um den Fall Volter.«
»Was?«
»Um den Fall Volter.«
Für einen Moment stand die Welt still, dann wirbelte sie
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