Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Hansen?« fragte Billy T., hob mit der linken Hand seinen Dienstausweis hoch und streckte die rechte zu einem Gruß aus. »Tut mir leid, daß wir Sie stören müssen. Dürfen wir eintreten?«
Der Mann machte einen Schritt auf sie zu und schaute sich rasch nach allen Seiten um.
»Von mir aus«, murmelte er. »Heute hat es schon viermal an der Tür geklingelt. Die Presse.«
Roy Hansen führte sie durch eine kleine Diele in ein halbdunkles Wohnzimmer, wo in der Sonne, die durch die vorgezogenen Vorhänge fiel, der Staub tanzte. Er ließ sich mit leisem Stöhnen aufs Sofa fallen und forderte seine Gäste auf, Platz zu nehmen.
Die Luft war schwer und klamm; es roch süßlich nach Blumen und verrottenden Zitrusfrüchten. Hanne starrte auf eine riesige Obstschüssel, in der die Apfelsinen graugrüne Schimmelflecken aufwiesen. Neben der Schüssel lagen auf einem Büfett aus Kiefernholz Stapel von ungeöffneter Post. In einer Zimmerecke standen vierzig bis fünfzig Blumensträuße, die ebenfalls niemand angerührt hatte. Die Bilder an den Wänden, populäre, aber geschmackvolle Graphiken, wirkten matt und farblos; sie schienen den Versuch aufgegeben zu haben, ein wenig Freude ins Leben der Bewohner dieses Hauses zu bringen, das fast schon kein Zuhause mehr war.
»Kann ich Ihnen bei den Blumen behilflich sein?« fragte Hanne Wilhelmsen, ohne sich zu setzen. »Die sollten jedenfalls nicht so herumstehen.«
Roy Hansen gab keine Antwort.
»Auf jeden Fall sollten wir die Karten herausnehmen«, schlug Hanne vor. »Damit Sie sich bedanken können. Später. Wenn Sie die Kraft dazu haben.«
Roy Hansen schüttelte resigniert den Kopf und deutete vage in Richtung der Blumen.
»Spielt keine Rolle. Morgen kommt die Müllabfuhr.«
Hanne setzte sich.
Dieses Zimmer war früher sicher einmal gemütlich gewesen. Im Tageslicht hätten die Möbel bunt und fröhlich ausgesehen, die Grünpflanzen hätten sich vor dem Aussichtsfenster gut gemacht. Die Wände, die jetzt grauweiß wirkten, waren eigentlich zartgelb, und wenn Licht und Luft ins Zimmer gekommen wären, hätten sie gut zu dem hellen Kiefernboden gepaßt. Vor nur vier Tagen hatte dieses Zimmer den Mittelpunkt eines gemütlichen norwegischen Heims ausgemacht. Hanne schauderte bei dem Gedanken daran, was der Tod anrichten konnte: nicht nur der Witwer vor ihr, sondern auch das Haus schienen von einem Gefühl der Leere überwältigt worden zu sein.
»Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte Billy T., und ausnahmsweise saß er ganz still da und streckte brav die Beine aus. »Wir wollten Sie ja bis zur Beisetzung in Ruhe lassen. Aber es gibt da etwas, worüber ich sofort mit Ihnen sprechen muß. Übrigens, ehe ich dazu komme …«
Ein junger Mann von Anfang Zwanzig kam die Treppe zum ersten Stock herunter. Er trug einen Trainingsanzug und schwarze Turnschuhe. Er war mittelgroß, blond, und das Gesicht wirkte in seiner auffälligen Normalität fast anonym.
»Ich lauf eben eine Runde«, sagte er leise und ging zur Tür, ohne die Gäste auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Per! Warte!«
Roy Hansen streckte die Arme aus, wie um seinen Sohn zurückzuhalten.
»Du weißt, daß sie mit dir sprechen wollen«, sagte er und blickte hilflos zu Billy T. hinüber. »Sie halten uns an, wenn wir das Haus verlassen.«
Billy T. sprang verärgert auf.
»Blödes Journalistenpack«, murmelte er und lief zur Verandatür. »Können Sie nicht hier rausgehen? Und dann über die Hecke in den Nachbargarten springen?«
Er öffnete die Tür und starrte hinaus.
»Da«, sagte er und streckte die Hand aus. »Oder über den Zaun.«
Per Volter zögerte kurz, dann durchquerte er mit mürrischem Gesicht und gesenktem Blick das Wohnzimmer und ging durch die Verandatür nach draußen. Billy T. folgte ihm.
»Billy T.«, sagte er und streckte noch einmal die Hand aus. »Ich bin von der Polizei.«
»Weiß ich doch«, sagte der junge Mann, ohne die Hand zu nehmen.
»Kondoliere«, sagte Billy T., das Fremdwort machte ihm Probleme, aber ihm fiel kein besseres ein. »Schrecklich traurig.«
Der Junge sagte nichts, sondern trat auf der Stelle, als wolle er jetzt los, sei aber zu gut erzogen, um sich noch unhöflicher zu verhalten als ohnehin schon.
»Nur noch eins«, sagte Billy T. »Wo ich Sie gerade erwischt habe. Stimmt es, daß Sie Mitglied in einem Pistolenklub sind?«
»Schützenverein«, korrigierte Per Volter. »Ich bin stellvertretender Vorsitzender des Schützenvereins von Groruddalen.«
Zum
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