Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Hilfeschrei.
Hanne Wilhelmsen und Billy T. sprangen auf und rannten auf den Flur. Über Roy Hansens gebeugten Rücken hinweg konnte Billy T. einen hochgewachsenen Mann von Anfang Vierzig sehen, mit einer ungekämmten Mähne und einem gigantischen Blumenstrauß, den er zwischen sich und Birgitte Volters Ehemann hielt. Roy Hansen wich aus purer Verwirrung zurück. Der Mann mit den Blumen nutzte diese Gelegenheit und stand schon fast im Haus. Billy T. drängte sich an Roy Hansen vorbei und berührte den Brustkorb des Mannes mit der flachen Hand.
»Wer sind Sie?« fragte er.
»Wer ich bin? Ich komme von Hören & Sehen, wir wollten nur unser Beileid aussprechen und uns ein bißchen mit Herrn Hansen unterhalten.«
Billy T. fuhr herum und sah Roy Hansen an. Der Mann hatte auf ihn einen elenden Eindruck gemacht. Er hatte geweint. Billy T. fand es schrecklich, ihn belästigen zu müssen, aber die Sache mit der Pillendose war zu wichtig. Jetzt war Roy Hansen aschfahl, und seine Stirn war von Schweiß bedeckt.
»Wieso zum Teufel platzen Sie einfach hier rein?« brüllte Billy T. den Journalisten an.
Hanne Wilhelmsen zog Roy Hansen ins Wohnzimmer und schloß die Tür.
»Machen Sie, daß Sie wegkommen«, fauchte Billy T. »Hauen Sie ab, und zwar sofort.«
»Schreien Sie doch nicht so herum. Wir wollten nur nett sein.«
»Nett«, sagte Billy T. und versetzte dem anderen einen Stoß vor die Brust, worauf dieser ins Schwanken geriet und seinen Blumenstrauß fallen ließ. »Weg hier, habe ich gesagt.«
»Immer mit der Ruhe. Ich geh ja schon.«
Der Mann wich zurück und bückte sich, um den Strauß aufzuheben.
»Könnten Sie die hier wohl in Wasser stellen?«
Billy T. schlug nicht zu. In seiner Wut hatte er schon allerlei Dinge zerstört, Papierkörbe und Lampenschirme, Fensterscheiben und Autospiegel. Aber er hatte, seit er sich als Junge mit seiner Schwester gerauft hatte, nie mehr Hand an einen Menschen gelegt. Auch diesen Mann schlug er nicht. Aber sein saftiger Schwinger verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Er hielt ihm die Fäuste vors Gesicht und fauchte:
»Wenn ich Sie noch einmal hier in der Gegend sehe … wenn ich Sie und Ihr Schmierblatt auch nur rieche, dann …«
Er schloß die Augen und zählte bis drei.
»Hauen Sie ab. Und zwar sofort.«
Billy T. knallte die Tür zu und versuchte keuchend, die Kontrolle über sich selbst zurückzugewinnen.
»Hier können Sie nicht bleiben«, sagte er zu Roy Hansen, als er sich endlich klar genug im Kopf fühlte, um wieder ins Wohnzimmer zu gehen. »Passiert sowas die ganze Zeit?«
»Nein, nicht die ganze Zeit. Heute war es am schlimmsten. Es kommt mir so vor … als erwarteten sie, daß meine Trauerzeit jetzt vorüber ist. Nach gerade mal drei Tagen.«
Er senkte den Kopf und brach in Tränen aus.
Hanne Wilhelmsen wollte gehen. Sie wollte weg von hier, weg von diesem stickigen, beengenden Zimmer und den beiden trauernden Menschen, die nicht miteinander sprechen konnten. Roy Hansen brauchte Hilfe. Aber weder Hanne noch Billy T. konnten ihm diese Hilfe bieten.
»Soll ich jemanden anrufen?« fragte sie leise.
»Nein. Meine Mutter kommt ja bald.«
Hanne und Billy T. tauschten einen Blick und beschlossen, Roy Hansen allein zu lassen. Aber sie blieben noch eine Dreiviertelstunde vor dem Haus im Ole Brumms vei 212 im Auto sitzen, bis eine alte Frau mit Hilfe eines Taxifahrers die Haustür erreicht hatte. Ohne von irgenwelchen Presseleuten angesprochen zu werden.
Vermutlich wirkte das Blaulicht auf dem Dach des Streifenwagens doch zu abschreckend.
18.30, Restaurant Bombay Plaza
Sie saßen ganz hinten in dem indischen Restaurant und aßen Papadams, während sie auf das Tandoori-Hähnchen warteten. Die dünne, krossen Scheiben waren stark gewürzt, was ein wenig Farbe in Øyvind Olves Gesicht brachte. Er hatte seit Freitag kaum geschlafen und merkte, daß ihm schon drei Schluck Bier zu Kopf stiegen.
»Schön, dich zu sehen«, sagte er und trank Hanne Wilhelmsen zu. »Wann kommt Cecilie?«
Hanne Wilhelmsen wußte nicht so recht, ob sie sich darüber ärgern sollte, daß alle, die sie und ihre Mitbewohnerin kannten, wissen wollten, wann Cecilie nach Hause komme, ehe sie sich für irgendein anderes Thema interessierten. Sie beschloß, sich nicht zu ärgern.
»Erst zu Weihnachten. Ich fahre auch wieder in die USA zurück. Demnächst. Das hier ist nur eine Art Urlaub.«
Der Mann vor ihr ging auf die Vierzig zu und sah aus wie ein Teddy. Er war zwar nicht
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