Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
ersten Mal huschte etwas wie ein Lächeln über das Gesicht des jungen Mannes.
»Kennen Sie alle anderen Mitglieder?«
»Fast alle. Jedenfalls alle, die einigermaßen aktiv sind.«
»Und Sie nehmen an Wettbewerben teil?«
»Ja. Das heißt, im Moment vor allem bei militärischen Meisterschaften. Ich gehe auf die Unteroffiziersschule.«
Billy T. nickte. Dann zog er ein Bild aus der Tasche. Ein Polaroidfoto, das ohne Genehmigung gemacht worden war, so schnell, daß der Wächter aus dem Regierungsgebäude nicht mehr hatte protestieren können.
»Kennen Sie diesen Mann?«
Er reichte Per Volter das Bild, der sein Getrabe unterbrach und sich das Foto einige Sekunden lang ansah.
»Nein«, sagte er dann zögernd. »Ich glaube nicht.«
»Aber Sie sind nicht sicher?«
Per starrte das Bild noch eine Weile an. Dann schüttelte er heftig den Kopf, gab das Bild zurück und schaute Billy T. in die Augen.
»Doch, ganz sicher. Ich habe diesen Mann noch nie gesehen.«
Er nickte kurz und sprintete durch den Garten zu einem anderthalb Meter hohen Zaun, den er mit einem eleganten seitlichen Sprung hinter sich ließ, und verschwand dann im Gebüsch.
Billy T. schaute ihm hinterher, runzelte die Stirn und kehrte zu Hanne Wilhelmsen und Roy Hansen zurück.
»Haben Sie die Schlüsselkarte gefunden?« fragte er und setzte sich.
»Nein. Tut mir leid. Hier kann sie nicht sein.«
Billy T. und Hanne tauschten einen blitzschnellen Blick. Jetzt konnte Billy T. nicht mehr stillsitzen. Er beugte sich vor, und der niedrige Sessel zwang ihn beinahe in die Hocke, was sehr unangenehm war.
»Wissen Sie, ob Ihre Frau eine Pillendose aus Silber oder Gold hatte?«
»Emailliert«, fügte Hanne hinzu. »Eine kleine Dose, ungefähr so groß.«
Sie zeigte die Größe mit Daumen und Zeigefinger.
Roy Hansen blickte sie verständnislos an.
»So ein winziges Kästchen«, erklärte Hanne. »Vermutlich ziemlich alt. Vielleicht ein Erbstück?«
Roy Hansen legte den Kopf schräg und kratzte sich an der Wange. Dann sprang er plötzlich auf und zog ein Fotoalbum aus dem Regal. Er setzte sich wieder und blätterte eine Weile darin herum.
»Hier«, sagte er plötzlich. »Meinen Sie vielleicht das hier?«
Er beugte sich über den Tisch, legte das Album zwischen sich und Hanne Wilhelmsen und zeigte auf ein großes Schwarzweißfoto. Es war offenbar von einem professionellen Fotografen mit einem großformatigen Film aufgenommen worden; auch kleine Details waren deutlich zu sehen. Eine sehr junge und sehr glückliche Birgitte Volter stand in Brautkleid und Schleier neben einem breit lächelnden Roy Hansen, der ziemlich lange Haare hatte und eine schwarze Hornbrille trug.
Das Brautpaar stand neben einem reichen Gabentisch mit zwei Bügeleisen, einer großen Glasschüssel, zwei Tischdecken, einem Milchkännchen und einer Zuckerdose, vermutlich aus Bleikristall, und noch allerlei anderen Gegenständen, die nicht so leicht zu identifizieren waren. Und richtig, ganz vorne lag eine kleine Dose.
»Man kann sie kaum erkennen«, bedauerte Roy Hansen. »Und um ganz ehrlich zu sein, hatte ich sie vergessen. Ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht einmal mehr, von wem sie sie damals bekommen hat.«
»Können Sie sich an die Farbe erinnern?«
Roy Hansen schüttelte den Kopf.
»Und Sie wissen wirklich nicht, von wem sie stammt? Ganz sicher nicht?«
Der Mann schüttelte weiter den Kopf. Er starrte vor sich hin und schien in einer vergessenen, eingestaubten Nische seines Gehirns nach den Erinnerungen an die Hochzeit zu suchen. Er schaute das Bild an, diese glückliche Szene, und an seinem linken Auge hing plötzlich eine Träne.
»Na gut«, sagte Billy T. »Dann wollen wir Sie nicht weiter stören.«
Plötzlich ging die Türklingel. Roy Hansen fuhr zusammen, die Träne löste sich und lief zu seinem Mundwinkel, und er wischte sie mit dem Handrücken weg.
»Soll ich aufmachen?« fragte Hanne.
Roy Hansen erhob sich langsam und schwerfällig und fuhr sich mehrere Male mit den Händen übers Gesicht.
»Nein, danke«, flüsterte er. »Ich erwarte meine Mutter.«
Staub, Halbdunkel und schwere Luft schienen etwas an der Akustik zu verändern. Das müde Ticken einer alten Tischuhr klang, als sei die Uhr in Watte eingewickelt, das ganze Zimmer wirkte wie in Watte gepackt. Die Stimmen, die vom Flur her zu hören waren, zerschnitten die weiche Lautlosigkeit wie Messer.
»Wer sind Sie?« hörten sie Roy Hansen fragen, sehr laut, wie ein
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