Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Kühlschrank. Was jedoch nicht der Fall war. Dort fanden sich nur ein angeschimmelter Brie, eine welke Paprika, drei Flaschen Mineralwasser und zwei Flaschen Weißwein. Billy T. schnupperte an einem Karton Magermilch im Türfach, zog eine Grimasse und schüttelte den Kopf. Grinde hatte seit einer Weile nicht mehr gegessen. Über einem Zweipersonentisch neben dem Fenster hing eine Lithographie, und die Spülmaschine sah aus wie in der Großküche auf der Hauptwache. Es war eine großartige, aber ziemlich unpersönliche Küche.
Das Wohnzimmer war da schon gemütlicher. In den Bücherregalen an der einen Längswand waren alle Genres vertreten, und Billy T. drückte auf einen Knopf der Stereoanalge, um die CD herauszuholen: Benjamin Brittens Oper »Peter Grimes«. Billy T. schüttelte kurz den Kopf: Der Fischer Peter Grimes, der bei Sturm hinausfuhr und den Waisenknaben, die ihm helfen sollten, das Leben zur Hölle machte, entsprach nicht gerade seinem Geschmack. Eine so dramatische Geschichte war ganz sicher nicht das richtige für eine Seele in Selbstmordqualen.
Tone-Marit stand an dem großen, schweren Büfett und machte sich an einigen kleinen Figuren zu schaffen. Auch Billy T. nahm eine von ihnen aus dem Fach, konnte aber nichts damit anfangen.
»Japanische Netsuke«, sagte Tone-Marit lächelnd. »Miniaturen, die ursprünglich als Gürtelknöpfe dienten, später dann zur Dekoration und als Sammlerstücke.«
Billy T. starrte erst den kleinen, beängstigenden Shinto-Gott in seiner Handfläche und dann Tone-Marit verwundert an.
»Diese Exemplare sind wirklich schön«, sagte sie. »Vermutlich auch echt. Dann stammen sie aus der Zeit vor 1850 und sind wirklich wertvoll.«
Behutsam stellte sie die Figuren wieder an ihren Platz hinter den geschliffenen Glastüren zurück, eine neben die andere.
»Mein Großvater hat mit japanischen Kunstwerken gehandelt«, erklärte sie beinahe verlegen.
Billy T. ging in die Knie und öffnete die doppelten Türen mit den Traubenreliefs. Dahinter lagen steife, gebügelte Tischdecken mit Hohlsaum.
»Ein Ordnungsmensch, dieser Grinde«, murmelte er und schloß die Türen wieder.
Dann ging er ins Schlafzimmer, das ebenfalls aufgeräumt war – bis auf das Bett, das nicht mehr bezogen war. Eine Hose hing an der Wand in einem elektrischen Hosenbügler. Über einem kleinen Sessel hingen ein Hemd und ein Schlips. Eine Tür führte aus dem Schlafzimmer ins Badezimmer. Das Bad war durch und durch maskulin geprägt, mit dunkelblauen Fliesen auf dem Boden. Die weißen Wände waren in Schulterhöhe mit einem blauen und goldfarbenen Fries in einem ägyptischen Muster versehen, das sich um das ganze Zimmer zog. Es duftete leicht und frisch nach Mann. Eine Zahnbürste. Ein altmodischer Rasierpinsel und echte Rasierseife. Billy T. sah sich den Rasierer an, der aus Silber zu sein schien und in dessen Griff die Initialen BG eingraviert waren.
Er kam sich vor wie ein Eindringling. Plötzlich sah er ein Schreckensbild vor sich. Wenn er nun der Tote wäre! Wenn irgendein Polizist sein Badezimmer untersuchte, sich an seinen Dingen zu schaffen machte, seine allerintimsten Habseligkeiten betrachtete! Er schauderte und zögerte kurz, ehe er den Schrank öffnete.
Dort lag sie.
Er zweifelte nicht eine Sekunde.
»Tone-Marit«, brüllt er. »Komm sofort her, und bring eine Tüte mit!«
Gleich darauf stand sie in der Tür.
»Was ist los?«
»Schau mal!«
Sie kam auf ihn zu, und ihre Blicke folgten seinem Zeigefinger zu einer kleinen vergoldeten und emallierten Pillendose.
»Oh«, sagte sie und riß die Augen auf.
»Das kannst du wohl sagen«, grinste Billy T., während er die Dose in die Plastiktüte steckte, die sofort luftdicht verschlossen wurde.
15.45, Hauptwache, Oslo
Der Überwachungschef sah aus wie ein Bestattungsunternehmer. Sein Anzug war zu dunkel, sein Hemd zu weiß. Der schmale, kohlrabenschwarze Schlips hing wie ein Ausrufezeichen vor diesem unpassenden Aufzug. Sie waren zwar mit Birgitte Volters Angehörigen verabredet, aber die Beisetzung lag immerhin schon vier Tage zurück.
Die Anwesenden im Besprechungszimmer des Polizeipräsidenten hatten das noch nie erlebt. Natürlich hatten die meisten von ihnen schon häufiger mit den Hinterbliebenen eines Mordopfers gesprochen, aber nicht so offiziell. Und schon gar nicht nach dem Mord an einer Regierungschefin.
»Alle Achtung«, sagte der Polizeipräsident.
Ungläubig starrte er Billy T. an, der eine gebügelte graue Wollhose,
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