Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
und schaue hinunter. Das Wasser in der Bucht glitzert im Sonnenlicht. Aber ich sehe noch etwas, das sich durchs Wasser bewegt. Der blaugraue Körper eines Delfins dreht und wendet sich im seichten Gewässer. Ich kann ihn rufen hören, vernehme seine schrillen Pfiffe. In einer Gischtwolke springt er nach vorne und versucht, auf dem Sand zu landen. Ich kann nicht glauben, dass das hier wirklich passiert, als hätte er nur auf mich gewartet.
Ich klettere die Klippen hinunter und springe die letzten paar Meter zum kleinen Strand, der nicht von der verebbenden Flut unter Wasser gesetzt ist. Ich laufe durch das Labyrinth aus Felsblöcken. Meine Füße klatschen in den weichen, nassen Sand. Im Tümpelwasser und auf den bleichen Felsen bricht sich das grelle Sonnenlicht. Eine Schar Möwen erhebt sich in die Lüfte, ein Kormoran krächzt und hüpft von einem Felsbrocken in die seichten Wellen. Ein anderer Kormoran flattert hoch und fliegt davon. Seine Flügelspitzen streifen fast meinen Kopf.
Und dann sehe ich es.
Obwohl der Stein mit Algen überzogen ist, ist er zu glatt und zu weiß, um zu den Felsen hier zu gehören. Es ist überhaupt kein Fels.
Es ist ein Delfin.
Es ist der weiße Delfin, der hier gestrandet ist. Kleine Wellen kräuseln sich um den Körper, aber der Sand ist weich und fest. Um seine Schwanzflosse markieren Algen und Schaum den Höchststand der Flut, die nun langsam verebbt.
Der Delfin im Wasser drängt sich wieder an den Strand. Offensichtlich ist es die Mutter. Dumm von mir zu glauben, sie hätte auf mich gewartet. Sie hat überhaupt nicht auf mich gewartet, sie versucht nur, ihr Kalb, das neben mir im Sand liegt, zu erreichen.
Noch nie zuvor habe ich einen Delfin so nah vor mir gesehen. Ich kenne sie nur aus der Ferne und aus Büchern. Auch der weiße Delfin ist ein Weibchen. Es müsste noch jung sein, aber sicher ist es kein Neugeborenes. Vielleicht ist es ein Kälbchen aus dem Wurf vom vergangenen Jahr. Ich folge der Krümmung seines Rückens über die Rückenflosse bis zur Schwanzflosse. Eigentlich ist es überhaupt nicht weiß. Sein Körper ist zartrosa und Flossen und Schwanz sind blau getönt. Der Rücken ist von tiefen, blutverkrusteten Schrammen überzogen. Das Blasloch ist frei, aber ich kann den Delfin weder atmen hören noch atmen sehen.
Ich mache einen Schritt auf das Kälbchen zu. Das oben liegende Auge ist halb geöffnet. Die Lider sind vertrocknet und von Salz verkrustet. Das andere Auge sieht trüb und leblos aus, wie Milchglas. Das Tier blinzelt nicht und es bewegt sich nicht.
Ich gehe neben ihm in die Hocke. Um seinen Unterkieferwinden sich Strähnen dicker Algenfäden. Erst als ich näher hinschaue, sehe ich, dass es überhaupt keine Algen sind. Es ist ein feinmaschiges Fischernetz, so festgezurrtes Nylon, dass es sich hinter dem lächelnden Delfinmaul tief in die Haut geschnitten hat. Die Zunge des Tieres ist blauschwarz geschwollen. An seinen stiftartigen Zähnen hängen Fetzen von Nylonfäden.
Ich knie mich hin. In mir steigt die Wut hoch. Ich kann mir denken, was geschehen ist. Ich kann mir vorstellen, wie das Tier ertrunken ist, wie es sich in der Dunkelheit im Fischernetz verfing, wie es sich verzweifelt hin und her warf und zu entkommen versuchte.
Ich schließe die Augen und will diese Gedanken wegschieben.
Aber das Bild vom ertrinkenden Delfin spukt in mir herum.
Ich spritze Wasser in mein Gesicht und öffne die Augen.
Die Sonne sticht vom Himmel. Unter dem T-Shirt rinnt mir der Schweiß den Rücken hinunter.
Ich will nicht länger hier sein.
Ich stehe auf. Aber ich möchte den Delfin noch einmal berühren, bevor ich gehe.
Ich mache meine Finger nass und strecke den Arm aus, um meine Hand in einem Bogen über sein Gesicht zu ziehen.
Kapitel 17
»PFFWUUUUSCH!!«
Ich falle rückwärts ins Wasser.
Eine Fontäne aus nasser Luft schießt in die Höhe.
Es stinkt nach Fisch.
Der Delfin holt Luft, aus seinem Blasloch ertönt ein pfeifendes Sauggeräusch, dann schließt er das Atemloch wieder.
Jetzt hat das Delfinkalb das Auge weit geöffnet. Es beobachtet mich.
Ich klatsche mit der Hand ins Wasser. »Du lebst!«, rufe ich, »du lebst!«
Die Schwanzflosse des Delfins schlägt aufs seichte Wasser.
Ich knie mich so neben das Kälbchen, dass mein Gesicht nahe an seinem ist. Ich blicke in sein kleines, rosafarbenes Auge. Das Tier blinzelt und erwidert meinen Blick, als würde es sich gerade überlegen, wer ich bin und was ich tun werde.
Aber ich habe keine
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