Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
dringt durch meine Jeans. Ich lege den Kopf auf den Sand und schließe die Augen. Und nun durchfährt es mich wieder: Sie ist tot. Der leere Blick und das erstarrte Gesicht haben sich in mir eingebrannt. Diese Bilder kann ich einfach nicht auslöschen, sosehr ich es auch versuche. Es fühlt sich an, als ob ein Teil von mir gestorben ist, als ob der Teil, in dem mir Mum so nahe war, auch noch verschwunden ist.
Ich drücke meinen Kopf in den nassen Sand und grabe meine Finger ein. Am liebsten würde ich mich in den Sand wühlen, bis er mich ganz bedeckt, und hier für immer liegen bleiben. Hier bin ich geschützt. Das Rauschen der Brandung und das sanfte Plätschern des Regens – das sind die einzigen Geräusche, die ich höre.
Dann drehe ich mich zum Meer hin, lege meine Wange in den Sand und beobachte, wie die Wellen zurück in das schimmernde, vom Regen betupfte Wasser rollen. Die Wellen steigen und fallen wie die Falten eines graugrünen Seidengewebes.
»Pffwuuuusch!«
Ich setze mich auf.
Dann höre ich es noch einmal, dieses explodierende Atemgeräusch eines Delfins. Angel ist hier, ihre weiße Rückenflosse durchschneidet das Wasser. Sie ist zurückgekommen, um ihre Mutter zu suchen, sie ist zurückgekommen in diese Bucht, in der ich sie das erste Mal gesehen habe. Aber jetzt ist ihre Mutter nicht mehr hier. Nur ich bin da.
Ich wate hinaus ins Wasser. Es geht mir schon über Hüfte und Brust und ich spüre, wie es am schweren Stoff meiner Jeans zieht. Ich kann sie sehen, nicht weit von mir entfernt. Ihr Auge ist blassrosa und grau. Die Haut hat die Farbe einer Perle. Sie stößt eine Reihe von Pfiffen und Klicklauten aus und ich ahne, dass sie damit ihre Mutter ruft. Ich strecke meinen Arm aus, um sie zu berühren, aber sie gleitet davon und verschwindet unter Wasser. Ich wate noch weiter hinaus ins Meer. Die Wellen bewegen sich unter mir, heben mich in die Höhe, und ich verliere den Boden unter den Füßen.
»KARA!«
Ich drehe mich um und sehe Felix und seinen Dad oben am Klippenrand stehen.
»Kara, komm da raus!«, brüllt Mr Andersen. Er fuchtelt mit beiden Armen.
Felix rutscht auf der dunkelgrauen Felsplatte nach vorn. Ich weiß, dass er weder in der Lage ist, dort oben das Gleichgewicht zu halten noch einen sicheren Weg nach unten zu finden. Ich wate aus dem Wasser und gehe den Strand hoch. Meine Füße sinken im weichen Sand ein. Ich sehe mich noch einmal um. Die Bucht ist leer. Angel ist verschwunden.
Als ich den Klippenrand erreiche, zieht mich Mr Andersen hoch und wickelt seinen Mantel um mich. Ich friere. Eine eisige Kälte fährt mir in die Glieder. Meine Hände sind blau und meine Finger ganz bleich.
»Wir müssen dich zurückbringen, Kara«, sagt er.
Ich schaue hinunter in die Bucht. »Wir können sie nicht alleinlassen. Sie braucht uns jetzt. Wir sind alles, was ihr noch bleibt.«
»Ich muss dich nach Hause bringen«, sagt Mr Andersen. »Dein Dad ist schon ganz krank vor Sorge. Er ist auch da draußen, um dich zu suchen.«
Felix’ Dad führt mich zum Weg außerhalb des Weidegatters. Ich kann kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Auch Felix müht sich im tiefen Morast ab.
»Wartet beide hier«, sagt Felix’ Dad. »Ich hol den Wagen und lade euch ein.«
Ich rutsche an der Steinmauer hinunter, abseits vom kalten Wind, und sehe zu, wie sich Mr Andersen von uns entfernt.
Felix lässt sich neben mir nieder und zieht die Kapuze über den Kopf. »Die Leute in der Stadt sind sehr wütend darüber, was Dougie Evans getan hat.«
»Das wird nichts dran ändern«, sage ich, rupfe einen Grashalm aus und wickle ihn immer und immer wieder um meine Hand. Dad hatte recht. Wenn wir nicht alle Fischer auf unsere Seite kriegen, können wir das Riff nicht retten. Ich glaube nicht, dass es irgendetwas gibt, das man sagen oder tun könnte, um jemanden wie Dougie Evans dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern. Wie viel er wohl verlieren muss, bevor er einsieht, dass es nichts mehr zu holen gibt?
Ich ziehe die nassen Rispen von den Gräsern und schnippe sie in die Luft. Die Scheinwerfer von Mr Andersens Wagen huschen durch den Nieselregen und finden uns.
Felix rappelt sich hoch und greift tief in seine Tasche. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das zeigen sollte«, sagt er. Er guckt sich nach dem Wagen um, der den Weg entlangholpert. »Ich hab meinem Vater gesagt, dass ich es nicht tun würde. Aber dann dachte ich, wenn ich du wäre, würd ich’s wissen wollen.«
»Was?«, frage ich.
Felix
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