Im Zweifel suedwaerts
nur, wie. Nachdem ich den Zusammenstoß mit Naddi gerade so einigermaßen unbeschadet überstanden hatte, wollte ich vermeiden, dass mir jetzt ausgerechnet von Lucy der Kopf abgerissen wurde. Und gleich im Anschluss daran ihrem Exfreund. Machten das Heuschrecken nicht so? »Na … ähm … hier«, antwortete ich zaghaft.
»Wo. Ist. Hier?« Sie klang jetzt ein bisschen wie ein Kampfroboter im Zerstörungsmodus.
Ich zeigte dahin, wo die Party war. »Da drüben?«
»Na warte …«
Schneller als ich es ihr zugetraut hätte, lief Lucy plötzlich los, über den Sand, hin zur Treppe, die zur Terrasse hinunterführte. Ich heftete mich an ihre Fersen, aber ich war nicht so wütend und somit auch nicht so schnell wie sie. Außerdem steckte mir die vergangene Nacht noch in den Knochen. Alles steckte mir in den Knochen, diese ganze verdammte Reise. Ich war ausgelaugt. Fertig. Ich brauchte Urlaub, ganz dringend: die Pausetaste drücken, etwas Abstand gewinnen, mal richtig entspannen und in den Süden fahren … Richtig. Das tat ich ja bereits.
»Lucy! Warte!«
Als ich mich der Menge näherte, wurde die Musik lauter, ebenso das Lachen und Stimmengewirr, das Klirren von Gläsern, Klatschen und Rufen – Partysound in seiner reinsten Form, untermalt vom Rauschen der kräftigen Atlantikwellen, das der Wind vom Strand zur Terrasse trug. Die bunten Lampen leuchteten mit den Sternen um die Wette, ein Wettrennen ganz anderer Art fand unter ihnen statt, wo ich versuchte, mit Lucy Schritt zu halten, die wiederum ihrerseits versuchte, sich auf schnellstem Weg zu Hannes durchzukämpfen, der neben Betty an der Bar stand und nichts Böses ahnte. Richard konnte ich nicht entdecken. Ich überlegte, ob ich Hannes vorwarnen sollte. Soweit ich wusste, war Lucy nicht bewaffnet. Aber in ihrem Zustand konnte sie sicherlich auch mit bloßen Händen großen Schaden anrichten.
Die halbe Strecke hatte sie bereits zurückgelegt, allerdings war es mir dank des intensiven Durchdrängeltrainings an diesem Tag gelungen, sie fast einzuholen. Ich beeilte mich, auch die letzten Meter zwischen uns gutzumachen, als sie plötzlich stehen blieb. Ihr Blick war starr auf die Tanzfläche gerichtet. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu beschreiben. Irgendwie war er leer, aber da waren auch Reste der eben noch so starken Wut, die jedoch langsam verschwanden und etwas anderem Platz machten. Niedergeschmettert. So sah Lucy aus.
Langsam legte sie eine Hand über ihren offen stehenden Mund, und ich musste sie nicht einmal fragen, was sie gesehen hatte, denn ich sah es selbst.
21
Der Teil, in dem einiges zum Ende kommt
DAPHNES MIXTAPE
Martha & The Muffins – Echo Beach
Ich hatte Ramon ziemlich gut eingeschätzt. Und doch vollkommen falsch. Ich hatte vermutet, dass seine Hände eher früher als später einen anderen Körper als Lucys an sich drücken und abtasten würden. So wie jetzt gerade, eine Hand im Nacken, eine am Po, im Rhythmus der Musik, die inzwischen etwas weniger nach Party und etwas mehr nach Einstimmung auf horizontalere Punkte der Abendplanung klang. Ramon rollte gekonnt seine Hüften, woher er das hatte, wussten wir ja. Und er schloss die Augen, während er seine Finger durch langes Haar gleiten ließ und daran roch. Es war alles sehr klischeehaft, und das machte es seltsam schwer zuzusehen, ohne peinlich berührt zu sein. Trotzdem konnte ich meinen Blick nicht abwenden, ebenso wenig Lucy. Wie bei einem Kaleidoskop war mein Kopf ein paarmal so weit, aus den vorhandenen Fakten eine endgültige Form zusammenzubasteln, aber immer wenn ich glaubte, alles in Verbindung gebracht zu haben, fiel das Bild wieder in sich zusammen. Es dauerte ein paar Momente. Ich glich alles ab, was ich wusste, korrigierte die Aspekte, die ich offensichtlich hinzuerfunden hatte, und musste am Ende erkennen, dass alles plötzlich Sinn machte. Und das ich es auch eher hätte sehen können. Aber Dinge ungeprüft für wahr zu halten war eben doch der leichtere Weg.
Als Ramon Marcos Gesicht in seine Hände nahm und ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss verpasste, machte Lucy neben mir ein herzzerreißendes Geräusch, wie ein kleines, pelziges Tier, das gequält wurde. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, aber in dem Augenblick, als meine Finger ihre Haut berührten, drehte sie sich in einem Ruck von mir weg und stürmte los. Dieses Mal machte sie sich nicht einmal die Mühe, sich an den feiernden Menschen vorbeizudrücken. Sie rannte einfach drauflos und riss alles um, was
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